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Montag, 16. September 2024

Kissigs Nebenwerte-Analyse zu clearvise: Bald wieder Rückenwind statt Sommerflaute?

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Artikel aus "Der Nebenwerte Investor" Ausgabe 16/2024 vom 30.08.2024

▶ In dieser Ausgabe: Drägerwerk, INDUS Holding, Clearvise, Atoss, Fraport, Nordex, Aixtron, Douglas


clearvise: Bald wieder Rückenwind statt Sommerflaute?

Die clearvise AG ist ein unabhängiger Stromproduzent im Markt der erneuerbaren Energien und betreibt ein diversifiziertes Anlagenportfolio in mehreren europäischen Ländern. Der Aktienkurs hat die letzten beiden Jahre keine Freude bereitet, doch das könnte sich möglicherweise bald ändern. Dabei gibt es zwei unterschiedliche Richtungen, die für neue Impulse sorgen könnten: bessere Unternehmensergebnisse und zunehmende Übernahmephantasie.

Clearvise wurde im Jahr 2010 unter dem Namen ABO Invest AG gegründet und zwar von der ABO Wind, die damals ein reiner Projektierer von Windkraftanlagen war. Die ABO Invest AG erfüllte als Betreiberin von Windparks die steigende Nachfrage von Anlegern nach Investitionsmöglichkeiten im Segment der erneuerbaren Energien und wurde Mitte 2011 an die Börse gebracht. Doch nach 10 Jahren war Schluss mit der Verbundenheit. Nachdem sich aktivistische Investoren eingekauft und immer stärkeren Druck auf das Management ausgeübt hatten, beide Unternehmen zu entflechten und getrennte Wege gehen zu lassen, erfolgte Mitte 2020 die Trennung. Die ABO Wind hat alle ihre Anteile an der ABO Invest verkauft und auch die Vorstände abgezogen. Seitdem fokussiert sich die ABO Wind auf die Projektierung von Wind- und Solarparks, während die ABO Invest ein reiner Bestandshalter ist. Folgerichtig erfolgte einige Zeit später die Umbenennung in clearvise AG, um auch nach außen die unternehmerische Trennung besser zu dokumentieren.

Rückzug aus Finnland, Blick auf Italien

Zum 27. Mai 2024 besteht das operative Portfolio des unabhängigen Stromproduzenten aus Wind- und Solarparks in drei Ländern mit einer installierten Leistung von rund 316 MW. Dabei profitiert clearvise im Durchschnitt noch mehr als neun Jahre lang von gesicherten Einspeisevergütungen und verfügt damit in einem sich wandelnden Energiemarkt über eine sichere Erlösquelle. Man ist heute in Deutschland, Frankreich und Irland aktiv, nachdem man sich Ende 2023 aus Finnland zurückgezogen hat mit der Begründung, die Dynamik des finnischen Marktes, beeinflusst durch Neubauten und Schwankungen im Strompreis, stehe nicht länger im Einklang mit der Investitionsstrategie von clearvise. Mit dem Verkauf der letzten finnischen Energieparks wurde ein schöner Millionengewinn realisiert, der in den Ausbau der Standorte in anderen europäischen Ländern genutzt wird. Im April wurden auf Sardinien und damit erstmals in Italien, Solarprojektrechte erworben. Baustark und Inbetriebnahme sind für 2025 geplant.

Drei-Säulen-Strategie

Clearviese konzentriert sich mit seiner Drei-Säulen-Strategie aus clearSWITCH, clearPARTNERS und clearVALUE darauf, sein Portfolio an Wind-Onshore und Photovoltaik-Anlagen in Europa profitabel weiter auszubauen. Der Fokus liegt auf Wind-Onshore- und PV-Anlagen primär in Europa. 80 bis 85 % des Eigenkapitals sehen man dabei für Direktinvestitionen in die regenerative Stromerzeugung in Europa vor, weitere 15 bis 20 % sind als sog. Opportunity Pocket für andere erneuerbare Technologien und Länder bestimmt.

clearVALUE: Das Unternehmen will durch die Akquisition von neuen oder bestehenden Projekten wachsen und auch Projekte realisieren, die mit komplexen technischen und wirtschaftlichen Herausforderungen einhergehen.

clearPARTNERS: Das Co-Entwicklungs- und Co-IPP-Modell steht für Kooperationen mit regionalen Entwicklern. Das hat Tradition, denn als das Unternehmen noch als ABO Invest firmiert, wurde es auch als Bürger-Wind-Anlage vermarktet.

clearSWITCH: Mit seinem innovativen Sachkapitalanlagemodell ermöglicht clearvise Betreibern von Bestandsanlagen, diese gegen clearvise-Aktien einzutauschen. Die Ausgabe der neuen Aktien als Kaufpreiszahlung verwässern dabei den Aktienbestand der Altaktionäre, doch im Gegenzug werden die neuen Energieparks als neues Eigenkapital eingebracht und schaffen damit im Werte für die Aktionäre.

Herausforderndes 1. Halbjahr

Der Konzern erzielte in den ersten sechs Monaten des Geschäftsjahres 2024 Umsatzerlöse von 18,9 Mio. Euro und damit 19 % weniger als im entsprechenden Vorjahreszeitraum. Dies ist im Wesentlichen auf den Verkauf der finnischen Windparks Ende 2023 sowie auf niedrigere Marktwerte im Zuge der Normalisierung der Strompreise in Deutschland zurückzuführen.

Die Produktion lag mit 234,4 GWh um 15 % unter dem Wert des Vorjahres. Im Bereich PV hingegen konnte clearvise die Produktion im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um 14 % steigern, wodurch der PV-Anteil an der Gesamtproduktion von 24 % auf 32 % anstieg. Damit kommt clearvise seinem Ziel der hälftigen Produktion aus Onshore-Wind und PV einen großen Schritt näher.

Das bereinigte operative Ergebnis (EBITDA) lag im Berichtszeitraum mit 12,4 Mio. Euro um 21 % unter dem Vorjahreswert. Dabei ist der Rückgang insbesondere auf die gesunkenen Umsatzerlöse zurückzuführen. Der operative Cashflow stieg im 1. Halbjahr von 8,1 auf 14,6 Mio. Euro und die Eigenkapitalquote lag bei rund 42 %.

Im operativen Erzeugungsportfolio der clearvise AG waren zum 30. Juni 2024 Wind- und Solarparks mit einer installierten Leistung von 316 MW (+ 12 MW) in Deutschland, Frankreich und Irland enthalten. Ein Meilenstein war die Fertigstellung und Inbetriebnahme des 42 MWp-Solarparks Wolfsgarten und weitere 66 MW befinden sich im Bau oder in der Genehmigungsphase.

Ausblick für 2024 bestätigt

Die Stromproduktion des Bestandsportfolios soll sich bei normalen Wetterbedingungen weiterhin auf 440 bis 460 GWh belaufen. Dabei geht die Prognose von einem unveränderten Portfolio aus. Angesichts der anhaltend hohen Volatilität bei den Strompreisen prognostiziert clearvise den Umsatz in einer Spanne von 35,5 bis 37,0 Mio. Euro auf der Basis gesicherter Preise durch PPAs (Purchase Power Agreements) oder die jeweiligen Tarife abzüglich der Aufwendungen für die Stromvermarktung. Das um Sondereffekte bereinigte Konzern-EBITDA wird in der Spanne von 21,8 bis 23,1 Mio. Euro erwartet.

Finanzchef Manuel Sieth stufte das Zahlenwerk positiv ein: "Im ersten Halbjahr 2024 stand die Optimierung des Portfolios im Vordergrund. Dazu haben wir das Biogassegment verkauft und uns auf die Segmente Onshore-Wind und Photovoltaik fokussiert. Zudem ist uns mit dem Erwerb der Projektrechte für drei Solarparks auf Sardinien und in Latium mit zusammen mehr als 30 MWp der Einstieg in den italienischen Markt gelungen. Trotz der schwierigen Marktbedingungen mit gesunkenen Strompreisen und Marktwerten sehen wir uns somit für weiteres profitables Wachstum hervorragend positioniert und halten an unseren Zielen fest."

Aktionärsstruktur und Übernahmephantasie

Nach Angaben von clearvise hält die Tion Renewables AG inzwischen 30,9 % der Anteile und die verbleibenden etwa 69,1 % befinden sich im Streubesitz. Doch hinter diesen beiden für sich genommenen Zahlen entwickelt sich eine spannende Geschichte um enttäuschte Erwartungen, gebrochene Zusagen und dem Ringen um die Krone.

Im Frühjahr 2023 hielt noch Pelion Green Future Alpha 21,9 % der Anteile und die von Alexander Samwer kontrollierte Pelion war auch Großaktionärin bei der Tion Renewables AG. Mit dieser hatte clearvise im Juli 2022 ein Memorandum of Understanding unterzeichnet. Danach sollten die Aktivitäten und Projekte der Tion in die clearvise eingebracht werden gegen die Ausgabe von weiteren Aktien und die Zahlung einer Barkomponente. Die Bewertung der Portfolios beider Unternehmen sollte über externe Gutachter erfolgen. Am Ende hätte Pelion ihr Engagement bei clearvise auf bis zu 40 % ausweiten können. Doch Dann platzte der Deal, weil Pelion ihre Anteile an der TION an den schwedischen Finanzinvestor EQT verkauft hat, so dass der Verkauf des Tion-Anlagenportfolios an clearvise keine Option mehr war. Clearvise-Chefin Petra Leue-Bahns gab sich selbstbewusst und erklärte, clearvise hätte auch ohne Tion starke Entwicklungsmöglichkeiten. Doch EQT hat andere Pläne.

Nachdem EQT inzwischen mehr als 95 % an Tion hält, strebt man dort den Squeeze-out der verbliebenen Minderheitsaktionäre an. Tion soll zu einer "führenden Plattform für Investitionen in Energiewendeprojekte" ausgebaut werden. Und über Tion ist EQT indirekt auch Großaktionär bei Clearvise. Ende 2023 meldete EQT beim Bundeskartellamt einen Anteils- und Kontrollerwerb für Clearvise an. Anschließend passierte ein halbes Jahr lang wenig, doch die Ruhe erwies sich als trügerisch, denn EQT erklärte im Sommer, man halte nun mehr als 25 % an Clearvise.

Diese Anteile hatte man von Paladin Asset Management erworben, hinter der AWD-Gründer Carsten Maschmeyer steht. Der Paladin One Fonds hatte im 1 Quartal 2024 noch 600.000 clearvise-Aktien erworben, dann aber seine gesamten 4,1 Mio. Anteile an EQT verkauft. Und der Paladin Origins Fonds veräußerte seinen Bestand von 370.000 Anteilen.

EQT übertrug anschließend seine Anteile in seine Tochter Tion Renewables und diese kommt nun auf 30,9 % aller Anteile. Tion erklärte inzwischen "unter Annahme einer Hauptversammlungspräsenz in der Größenordnung derjenigen der Hauptversammlung von 2023 von circa 46 % würde die Tion Renewables AG dadurch in Zukunft über eine Stimmrechtsmehrheit in der Hauptversammlung der clearvise AG verfügen".

Dem Überschreiten der 30-Prozentschwelle kommt dabei strategische Bedeutung zu. Clearvise wehrt sich gegen eine Übernahme, indem es seine Rechnungslegung auf IFRS umstellt, ein klares Bekenntnis zu Dividendenausschüttungen abgab und ein Uplisting anpeilt. Bisher notieren die clearvise-Aktien noch nicht im Geregelten Markt und in diesem höheren Börsensegment würde das Überschreiten der 30-Prozentschwelle ein Pflicht-Übernahmeangebot an alle freien Aktionäre auslösen. Dem kam EQT mit seinen jüngsten Zukäufen zuvor und das macht weitere Zukäufe seitens EQT in nächster Zeit wahrscheinlich.

Paladin war übrigens auch nicht untätig. Der Halbjahresberichte offenbarte, dass der Paladin Origins bereits wieder hält 175.000 Clearvise Aktien enthält. Zudem hält Nebenwertespezialist Scherzer AG einen beträchtlichen Anteil an cleravise, den man zum 31.12.2023 mit 10,1 % bezifferte.

Bullcase vs. Bearcase

EQT hat über die Tion inzwischen indirekt auch bei Clearvise das Sagen, dürfte aber gegenwärtig und künftig nicht der einzige Käufer am Markt sein. Das offenkundige Interesse seitens EQT läuft auf ein 'Endspiel um clearvise' hinaus und könnte noch weitere Übernahmespezialisten anziehen. Die Umsätze bei clearvise-Aktien sind jedenfalls höher als üblich und die gegenwärtige Kursschwäche bei vielen deutschen Nebenwerten laden zum Aufstocken geradezu ein.

Quelle: wallstreet-online.de
Die Kursschwäche von clearvise ist auch auf die durchwachsene Lage im Green Energy-Sektor zurückzuführen, der unter verlängerten Lieferzeiten, deutlich erhöhten Komponentenpreisen und Zinsen sowie der aktuellen Strompreisentwicklung leidet. Zudem hat das schlechte Abschneiden der GRÜNEN bei der Europawahl ebenso auf die Stimmung gedrückt wie das starke Abschneiden der AfD, die sich ausdrücklich gegen den Ausbau der erneuerbaren Energieträger positioniert.

Clearvise will sein Portfolio bis 2025 auf 750 MW weiter ausbauen und durch eine Verbesserung der Diversifikation, etwa durch Investments in Photovoltaik, die Abhängigkeit von den teilweise stark schwankenden Winderträgen vermindert werden. Der Markteintritt in Italien dürfte dabei nur ein erster Schritt sein.

Die Bestandshaltung im Bereich der Stromerzeugungskapazitäten wird üblicherweise stark fremdfinanziert; bei clearvise lag die EK-Quote Ende 2021 bei 24,3 %, doch Ende Juni 2024 waren es bereits 42 % - auch dank der Windpark-Verkäufe in Finnland. Für das weitere Wachstum werden dennoch immer wieder Kapitalerhöhungen nötig sein, was einen verwässernden und zumindest vorübergehenden kursbelastenden Effekt hat. Kapitalerhöhungen unter Ausschluss des Bezugsrechts der Altaktionäre sind ein probates Mittel, um ungeliebte Großaktionäre in die Schranken zu weisen. Allerdings kontrolliert EQT bzw. Tion inzwischen de facto die Mehrheit der Stimmrechte, so dass der clearvise-Vorstand um Chefin Petra Leue-Bahns von einem zu starken Konfrontationskurs absehen dürfte.

Je länger der Aktienkurs unter 2 Euro notiert, desto größer sind die Chancen für die Aktionäre, hier ordentlich Geld zu verdienen. Das gilt für Großaktionär Tion bzw. EQT ebenso wie für andere engagierte Adressen wie Scherzer & Co. und Paladin. Aber auch für Kleinaktionäre, die sich von der mittelfristigen Aussicht einer Übernahme und möglicherweise sich später anschließendem Squeeze-out nicht irritieren lassen. Zudem winkt eine Erholung des operativen Geschäfts im Green Energy Sektor, was ebenfalls für die clearvise-Aktie sprechen würde, die sich damit insgesamt als interessante Depotbeimischung präsentiert.

Die 4 wichtigsten Dinge, die man über clearvise wissen muss

  1. Clearvise betreibt ein diversifiziertes EE- Beteiligungsportfolio von rund 316 MW mit operativen Wind- und Solarparks in drei europäischen Ländern.
  2. Das Unternehmen ist stark von der Windausbeute abhängig und versucht dieses Risiko durch den verstärkten Zukauf im Solarbereich zu reduzieren.
  3. Nach dem Verkauf der finnischen Windparks erfolgte kürzlich der Markteintritt in Italien über den Erwerb von Solarprojektrechten.
  4. EQT hält über Tion inzwischen 30,9 % der clearvise-Aktien und dürfte die Mehrheit anstreben. Anschließend sind weitere Schritte Richtung Komplettübernahme anzunehmen.
Disclaimer: Habe ABO Wind, clearvise auf meiner Beobachtungsliste und/oder im Depot/Wiki.

3 Kommentare:

  1. leider eine ziemlich patt stellung und alles hängt gefühlt daran was EQT machen wird. verstehe nicht worauf die warten. es wird nicht besser (aber vielleicht billiger?) die ganze sache lähmt die entwicklung von clearvise doch zusehends.

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  2. Ihr Depoteinblicke sind sehr spannend und für auch schlüssig. Warum haben Sie das Unternehmen ASML jedoch nicht auf Ihrer Beobachtungsliste oder im Depot? Es hat ja eine unverzichtbare Monopolstellung… Grüße und weiter so

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    1. Moin Thorsten,
      vielen Dank für das nette Lob. Die Antwort auf deine Frage ist: Kompetenzbereich. Zu Chipherstellern habe ich keinen wirklichen Zugang, das ist nicht meine Spielwiese. Zudem ist es eine sehr zyklische Branche, was mir ebenfalls nicht wirklich gut gefällt. Daher ist ASML nicht in meinem Fokus.

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