Donnerstag, 1. August 2024

Kissigs Nebenwerte-Analyse zur Verve Group: Aufstrebender Adtech-Star vor der Neubewertung?!

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Artikel aus "Der Nebenwerte Investor" Ausgabe 14/2024 vom 30.07.2024

▶ In dieser Ausgabe:  Verve Group, PNE, Alzchem, Einhell, PVA Tepla, Elmos, Cancom, Init


Verve Group: Aufstrebender Adtech-Star vor der Neubewertung?!

Die Verve Group hat eine Reihe von Umbenennungen, Firmensitzverlagerungen und strategische Neuausrichtungen hinter sich. Die Konstante im Unternehmen ist Großaktionär und CEO Remko Westermann, seit er Ende 2012 in den Vorstand des damals noch als Gamigo firmierenden Unternehmens eintrat. Diese häufigen Umorientierungen deuten eigentlich auf systemische Schwächen im Geschäftsbetrieb hin, haben jedoch durchaus valide Hintergründe. Und die Marktkapitalisierung des Unternehmens erreicht mit mehr als 400 Mio. Euro inzwischen Regionen, wo auch institutionelle Anleger einen zweiten Blick riskieren. Und der offenbart mitunter Interessantes…

Zum besseren Verständnis drehen wir die Zeit ein wenig zurück und schauen auf das Unternehmen, als es noch als Media and Games Invest PLC (MGI) firmierte. Damals zielt man in erster Linie darauf ab, durch Übernahmen von Unternehmen zu wachsen, sie umzustrukturieren und in die eigene Spieleplattform zu integrieren. Man verfügte über ein profitables und wachsendes Portfolio von Unternehmen in den Bereichen Online-Spiele und digitale Medien.

Im Coronajahr 2020 gab es eine ganze Reihe von Zukäufen: eine Erhöhung des Aktienanteils der gamigo AG von 53 % auf 99 %, den Kauf des programmatischen Werbeunternehmens Plattform 161, die vollständige Übernahme von ReachHero, die vollständige Übernahme der Freenet Digital Gruppe mit mehr als 1.500 Mobile Games.

Die Corona-Pandemie hatte im Gaming-Bereich für Rückenwind gesorgt, weil die Menschen zuhause rumsaßen und sich langweilten. Also spielten sie. Online. Media and Games Invest produzierte dabei selbst keine Spiele, sondern übernahm Lizenzen und Vermarktungsrechte von Erfolgsspielen bzw. Firmen, die solche Recht hatten. Diese Spiele wurden dann in die eigene Spieleplattform integriert und so allen angeschlossenen Spielern angeboten. Diese Strategie erzeugte Synergien durch Kostensenkungen, Hebelwirkung und Größenvorteile. Jedes neu auf der Plattform angebotene Spiel brachte neue Spieler auf die Plattform und die vorhandenen Spieler fanden immer wieder neue, zusätzliche Spieleherausforderungen.

Die Spiele wurden überwiegend kostenlos angeboten, zumindest in der Basisversion. Wer schon mal auf der Hamburger Reeperbahn war, kennt das Prinzip, das man dort „ankobern“ nennt. Wer mehr will, muss dafür zahlen. Entweder für bessere Ausstattung oder Extras. Und immer häufiger wurde innerhalb der Spiele – möglichst unaufdringliche - Werbung platziert. Auch das übernahm MGI, denn ebenfalls im Jahr 2000 übernahm man die nordamerikanische mobile Datenplattform Verve Group.

Der weitere Verlauf ist grundsätzlich bekannt. Mit Abflauen der Pandemie und der Rückkehr in den Normalzustand brachen viele Online-Geschäftsmodelle ein, weil die Menschen wieder „real“ lebten und sich vergnügten. Das traf auch MGI, deren zweitklassige Spiele auf diese Art Spieler verloren und damit Einnahmen. Das Geschäftsmodell, billig Spiele mit noch aktiver Fanbase aufzukaufen und aus diesen den letzten Saft rauszulutschen, hatte seinen Zenit überschritten. MGI stand – mal wieder – am Scheideweg. Und Remko Westermann machte seinen nächsten Zug.

Verve Group

Während die Spiele immer weniger einbrachten, wuchs die Ad-Plattform rasant. Heute generiert sie bereits mehr als 80 % der Einnahmen des Unternehmens. Das gelang, weil MGI seine M&A-Aktivitäten auf diesen Bereich verlagert hat zudem wichtige Trends frühzeitig erkannt hat. So wurde in den letzten Jahren die Anzahl der Ad-Software Kunden kontinuierlich gesteigert, selbst, nachdem der Werbemarkt ab Mitte 2022 aufgrund der schwächelnden Wirtschaft und der ausgerufenen Kostensenkungs-programme der Unternehmen unter Druck geriet. Dennoch legte MGI weiter zu, weil man zwei große Werbetrends frühzeitig antizipiert hat: das Verschwinden von Werbe-Identifikatoren wie Cookies und den Bedarf nach direktem Zugang zu Werbeflächen. In beiden Bereiche hat MGI frühzeitig investiert, sowohl im direkten Werbeinventar als auch in Daten und den Einsatz von KI zur Optimierung des Targetings. Daher verfügt MGI heute über Produkte und Services, die sowohl für Werbetreibende als auch für Publisher relevant sind.

Das Unternehmen ist hauptsächlich in Nordamerika und Europa tätig. Durch Investitionen in organisches Wachstum und Innovation sowie gezielte Übernahmen hat man einen One-Stop-Shop für programmatische Werbung aufgebaut, der es Unternehmen ermöglicht, Werbeplätze über alle digitalen Geräte (mobile Apps, Web, Connected TV und Digital Out of Home) zu kaufen und zu verkaufen.

Um den neuen geschäftlichen Schwerpunkt des Unternehmens zu unterstreichen, nannte man es in Verve Group um und verlagerte den Firmensitz von zuvor Malta nach Schweden; die Aktien sind federführend am Nasdaq First NorthPremier Growth Market in Stockholm und im Scale-Segment der Frankfurter Wertpapierbörse notiert.

Aktionärsstruktur und Insiderdeals

Bevor wir uns das Business ansehen, schweifen wir kurz mal ab und schauen auf die Aktionärsstruktur. Als gewichtige Großaktionäre präsentieren sich Bodhivas GmbH 27,1 %, Oaktree Capital Management 17,7 % und Sterling Active Fund 5,1 %, so dass dem Streubesitz 50,1 % zuzurechnen sind.

Hinter der Bodhivas GmbH verbirgt sich CEO Remco Westermann und er kauft fortgesetzt weitere Aktien des Unternehmens; ebenso CFO Paul Echt mit seiner Global PE Invest GmbH. Am interessantesten dürfte allerdings die Beteiligung von Oaktree sein, denn dahinter verbirgt kein geringerer als Starinvestor Howard Stanley Marks, der bevorzugt in Turnaround-Situationen und stark unterbewertete Unternehmen investiert. Er war im Frühjahr 2021 eingestiegen und hatte seinerzeit knapp 9 % des Unternehmens erworben. Der Aktienkurs schoss im Börsenhype in die Höhe, danach erfolgte der Absturz. Marks stockte seine Position in der Folgezeit weiter auf hält heute 17,7 %. Marks selbst hat übrigens vor einigen Jahren die Mehrheit seins Unternehmens an den global tätigen Finanzinvestor Brookfield verkauft, der rund 925 Mrd. USD verwaltet.

Sow windig sich die Vorgeschichte des Unternehmens anhört, so solide und bodenständig sind maßgebliche Aktionäre des Unternehmens, die die Geschäftsstrategie unterstützen und auf die Wachstumsaussichten des Unternehmens setzen.

(Die nächste) transformative Übernahme

Quelle: wallstreet-online.de
Anfang Juli stockte die Verve Group ihre Unternehmensanleihe um 65 Mio. Euro auf. Die stieß auf hohe Nachfrage und wurde zum Ausgabepreis von 102,50 Euro platziert. Mit dem Emissionserlös wird vor allem eine fällige Anleihe, die 2020 emittiert wurde, getilgt. Die Verzinsung der Anleihe richtet sich nach dem Dreimonats-Euribor mir einem Aufschlag von 4,88 %. Bei einer 2023 durchgeführten Emission hatte die Verve Group noch 7,25 % zusätzlich auf den Dreimonats-Euribor gezahlt. Die operativen Fortschritte werden also durchaus vom Kapitalmarkt honoriert.

Und den hat die Verve Group gleich nochmal in Anspruch genommen und 27.108.434 neue Aktien im Wege eines beschleunigten Bookbuildingverfahrens am Markt platziert. Die Aktienemission wurde von den Großaktionären Bodhivas GmbH und Oaktree unterstützt, wodurch das Anlegerinteresse noch gesteigert wurde. Insgesamt floss der Verve Group ein Erlös von rund 450 Mio. SEK zu, also rund 38,5 Mio. Euro. Und das Geld wird dringend benötigt.

Übernahme der Jun Group

Denn Verve übernimmt die Jun Group, ein Unternehmen für digitale Werbung mit Schwerpunkt auf mobilen Geräten. Sie verfügt über einen direkten Zugang zu über 230 der Fortune-500-Werbetreibenden und -Agenturen in den USA und passt perfekt zur marktführenden, US-zentrierten, mobilen angebotsseitigen Plattform von Verve. Die Transaktion wird zu einem ausgewogeneren Vertriebsmodell mit 30 % nachfrageseitigem und 70 % angebotsseitigem Geschäft führen, erklärte Verve. Die Jun Group bediene einen stetig wachsenden und stark diversifizierten Kundenstamm.

Die Übernahme kann man wirklich als „transformativ“ bezeichnen, denn sie wird die Bilanz und die geschäftszahlen von Verve gehörig durcheinanderwirbeln. Im positiven Sinn! Die Transaktion wird die Größe und Rentabilität von Verve erheblich steigern und dem Konzern einen Zuwachs beim Umsatz von etwa 23 % und beim bereinigten operativen Ergebnis (EBITDA) von rund 43 % einbringen. Das ergibt auf Pro-forma-Basis für 2024 einen erwarteten Umsatz von 447 Mio. Euro und ein bereinigtes EBITDA von 151 Mio. Der Gesamtwert der Transaktion beläuft sich auf 170 Mio. Euro (ohne Barmittel und Schulden).

Erhöhung der Jahresprognosen

Die starke Leistung von Verve im 1. Halbjahr 2024 in Kombination mit dieser transformativen Übernahme führt zu einer deutlichen Erhöhung der Umsatzprognose für 2024 auf 380 bis 400 Mio. Euro (bisher: 350 bis 370 Mio.) und des bereinigten EBITDA auf 115 bis 125 Mio. Euro (bisher: 100 bis 110 Mio.).

Angesichts der signifikanten Steigerung von Größe und Rentabilität hat Verve auch seine mittelfristigen Finanzziele angepasst: das Umsatzwachstum soll unverändert 25 bis 30 % betragen, die EBITDA-Marge auf 30 bis 35 % steigen (bisher: 25 bis 30 %) und die EBIT-Marge auf 20 25 % (bisher: 15 bis 20 %). Zudem reduziert Verve das Ziel für den Nettoverschuldungsgrad deutlich auf den Faktor 1,5 bis 2,5 (bisher: 2,0 bis 3,0).

Ergänzung vom 12.08.2024: Erneute Erhöhung der Jahresprognosen!
Die Verve Group erzielte im 2. Quartal 2024 ein organisches Umsatzwachstum von 26 % und ein EBITDA-Wachstum von 37 %, während die Nettoerlöse um 27 % auf 96,6 Mio. Euro gestiegen sind. Die Zahl der Software-Kunden wuchs um 24 % auf 851 und der Umsatz der der Ad Impressions auf 224 Mrd. nach 181 Mrd. im Vorjahresquartal.

Die EBITDA-Marge verbesserte sich von 28 % auf 30% aufgrund des wachsenden operativen Leverage. Gleichzeitig sank der bereinigte Nettoverschuldungsgrad auf 2,8x (Juni 2023: 3,2x) und das bereinigte Nettoergebnis belief sich auf 8,8 Mio. Euro (+122 % ggü. Vorjahr). Das Ergebnis je Aktie legte um 308 % auf 0,04Euro zu.

Folgerichtig erfolgte eine weitere Anhebung der Jahresprognosen auf 400 bis 420 Mio. Euro Umsatz und 125 bis 135 Mio. adj. EBITDA.

Bullcase vs. Bearcase

Apple, Google und andere arbeiten schon einige Jahre am Ende der Cookies und haben damit die Werbebranche in Aufruhr versetzt. Die Werbetreibenden suchen händeringend nach Möglichkeiten, auch künftig zielgruppengenaue Werbung aussteuern zu können und die Anbieter von Werbeplätzen können umso höhere Werbeinnahmen generieren, je nützlicher und abschlussrelevanter ihre Werbeplätze sind. Westermann hat das erkannt und sich frühzeitig positioniert. Mit der Übernahme der Verve Group im Jahr 2020 und nun mit dem Kauf der Jun Group. 230 der Fortune-500-Unternehmen auf der Kundenliste zu haben, ist schon ein starkes Pfund und mit dem sollte Westermann in den nächsten Jahren gut wuchern können.

Das Unternehmen leidet noch unter seiner eher unsteten Vergangenheit, aber es dürfte langsam eine Neubewertung anstehen. Dazu trägt nicht nur der Großaktionär Howard Marks von Oaktree bei, der seine Position inzwischen auf 17,7 % annähernd verdoppelt hat. Und Marks ist nicht bekannt dafür, ins fallende Messer zu greifen, sondern sich günstig in vermeintlich schmuddeligen Unternehmen zu platzieren, bevor der Markt seine Fehleinschätzung erkennt. Bei der Verve Group scheint er sein neues Aschenputtel gefunden zu haben.

Die 4 wichtigsten Dinge, die man über Verve Group wissen muss

  1. Der ehemalige Vermarkter von Handyspielen hat sich zu einem lupenreinen Adtech-Unternehmen gewandelt.
  2. Verve Group erzielt heute bereits 80 % seiner Umsätze mit seiner Werbeplattform und baut diesen Anteil weiter aus – auch durch gezielte M&A-Aktivitäten.
  3. Die jüngste Übernahme der Jun Group polstert die Finanzen kräftig auf mit 23 % Umsatzzuwachs und überdurchschnittlicher Profitabilität.
  4. Bei der hierzu nötigen Kapitalerhöhung haben die Großaktionäre mitgezogen und unterstreichen so ihr vertrauen ins den Kurs von CEO Westermann.
Disclaimer: Habe Verve Group auf meiner Beobachtungsliste und/oder im Depot/Wiki.

2 Kommentare:

  1. Hallo Michael,

    schon für solche Analysen - aber nicht nur deshalb - ist die Lektüre Deines Briefes absolut un-erlässlich. Danke dafür.

    Henrik

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  2. Am 12.08.2024 erfolgte eine weitere Erhöhung der Jahresprognosen!
    Die Verve Group erzielte im 2. Quartal 2024 ein organisches Umsatzwachstum von 26 % und ein EBITDA-Wachstum von 37 %, während die Nettoerlöse um 27 % auf 96,6 Mio. Euro gestiegen sind. Die Zahl der Software-Kunden wuchs um 24 % auf 851 und der Umsatz der der Ad Impressions auf 224 Mrd. nach 181 Mrd. im Vorjahresquartal.

    Die EBITDA-Marge verbesserte sich von 28 % auf 30% aufgrund des wachsenden operativen Leverage. Gleichzeitig sank der bereinigte Nettoverschuldungsgrad auf 2,8x (Juni 2023: 3,2x) und das bereinigte Nettoergebnis belief sich auf 8,8 Mio. Euro (+122 % ggü. Vorjahr). Das Ergebnis je Aktie legte um 308 % auf 0,04Euro zu.

    Folgerichtig erfolgte eine weitere Anhebung der Jahresprognosen auf 400 bis 420 Mio. Euro Umsatz und 125 bis 135 Mio. adj. EBITDA.

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