Dienstag, 6. August 2024

Kissigs Nebenwerte-Analyse zu Alzchem: Der Spezialchemiechampion trotzt der Branchenschwäche

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Artikel aus "Der Nebenwerte Investor" Ausgabe 14/2024 vom 30.07.2024

▶ In dieser Ausgabe:  Verve Group, PNE, Alzchem, Einhell, PVA Tepla, Elmos, Cancom, Init


Alzchem: Der Spezialchemieanbieter trotzt der Branchenschwäche

Chemieunternehmen sind energieintensiv und leiden daher besonders stark unter hohen Energiepreisen. Dis lange Zeit wichtigste Branche der deutschen Wirtschaft kämpft seit zwei Jahren mit dem Rücken zur Wand und muss deutlich sinkende Gewinne verkraften. Einige Branchengrößen bauen daher hierzulande Personal ab und verlagern wichtige Produktionsstandorte ins Ausland. Die seit Monaten sinkenden Energiepreise lockern die Lage etwas auf, doch liegen die Gaspreise noch immer deutlich höher als vor drei Jahren. Der Standort Deutschland hat zu kämpfen, wie auch viele Gewinnwarnungen der letzten Wochen zeigen. Doch bei Spezialchemieanbieter Alzchem läuft irgendwie alles anders. Und runder…

Dabei starte die Börsenkarriere alles andere als ruckelfrei. Im Frühjahr 2017 wollte Alzchem über einen normalen Börsengang an die Börse kommen, doch das Interesse war zu gering. Der Börsengang musste abgeblasen werden und ein halbes Jahr später ging man einen anderen Weg und zwar über ein Reverse-IPO. Alzchem verschmolz mit dem Börsenmantel der Softmatic AG, der anschließend in Alzchem Group umbenannt wurde und seitdem kann Interessierte deren Aktien handeln.

Alzchem ist ein vertikal vollintegrierter Hersteller chemischer Produkte. Der Fokus liegt auf komplexen organischen Produkten mit einer Stickstoff-Kohlenstoff-Stickstoff-Bindung (NCN-Ketten) und Alzchem übernimmt die meisten Stufen der Verarbeitung und Veredelung der Produkte selbst.

Das Unternehmen teilt seinen Geschäftsbetrieb in drei sich ergänzende Segmente: Speciality Chemicals, Basics & Intermediates sowie Other & Holding.

Im Segment Speciality Chemicals produziert Alzchem Spezialchemieprodukte für Kunden aus der chemischen Industrie, der Pharmabranche, der Ernährungs- und Futtermittelindustrie sowie den Branchen Erneuerbare Energien, Automobil, Landwirtschaft, Wehrtechnik. Der Umsatzanteil dieses Segments lag 2023 bei 59 % und steuerte 90 % des operativen Ergebnisses (EBITDA) bei.

Das Segment Basics & Intermediates bündelt die Aktivitäten der Verbundchemie auf Basis der primären Stickstoff-Kohlenstoff-Stickstoff-Bindung. Hier stellt Alzchem Produkte, Zwischenprodukte und Rohstoffe her, die anschließend konzernintern vom Segment Speciality Chemicals oder externen Abnehmer aus der Automobilindustrie, der Metallurgie, der chemischen Industrie, der Pharmabranche oder der Landwirtschaft abgenommen werden. Der 2023er Umsatzanteil der Sparte lag bei 35,5 % und der Anteil am operativen Ergebnis bei 11,7 %.

Im Segment Others & Holding fasst Alzchem alle übrigen Aktivitäten des Konzerns zusammen, die sich nicht den beiden anderen Segmenten zuordnen lassen. Die Umsätze werden überwiegend mit Dienstleistungen erzielt, die im Wesentlichen für den Betrieb der Chemieparks Trostberg und Hart anfallen. Entsprechend niedrig sind der 2023er Umsatzanteil von 5,3 % und der Ergebnisbeitrag von 0,6 %.

In Deutschland betreibt Azlchem mit Trostberg, Hart, Schalchen und Waldkraiburg vier Produktionsstandorte im sog. 'Bayerischen Chemiedreieck' sowie einen weiteren im Schwedischen Sundvall. Zudem ist Alzchem in den beiden als strategisch relevanten Märkten USA und China mit eigenen Vertriebsgesellschaften aktiv.

Insgesamt waren Ende 2023 rund weltweit 1.700 Mitarbeiter für Alzchem im Einsatz. Auf Deutschland entfielen dabei rund 28 % der Umsätze, auf die weiteren EU-Staaten 32 % und das restliche Europa 5 %. Die NAFTA steuerte 18 % bei, Asien 7,5 % und der Rest der Welt knapp 10 %.

Relativ starke Ergebnisse

Im Geschä¬ftsjahr 2023 erzielte Alzchem mit 540,7 Mio. Euro einem Umsatz nahezu auf Niveau des Rekordvorjahres. Im Ergebnis verbuchte das Segment Specialty Chemicals ein Umsatzwachstum von 10,9 % auf 319,8 Mio. Euro und damit den mengen- sowie preisgetriebenen Umsatzrückgang von 15,5 % auf 192,2 Mio. Euro im Segment Basics & Intermediates weitgehend ausgleichen. Das höhermargige Wachstumssegment Specialty Chemicals hat damit an Gewicht zugelegt, so dass es Alzchem gelang, das EBITDA deutlich um 32,6 % auf 81.4 Mio. Euro zu steigern. Die EBITDA-Marge kletterte dem entsprechend auf 15,3 %, während das EBIT sogar um 54,6 % auf 55,5 hochschnellte. Der operative Cashflow explodierte geradezu auf 72,7 Mio. Euro, nachdem er im Vorjahr noch negativ ausgefallen war. Untern Strich stieg damit der Konzernjahresüberschuss um 15,2 % auf 34,8 Mio. Euro an und das Ergebnis je Aktie erreichte 3,40 Euro.

Treiber des stabilen Jahres waren die Wachstumsbereiche und die Alleinstellungen bei zahlreichen Produkten wie Creapure, Creaminooder auch bei den Guanidinsalzen. Zudem ist die Kostenstruktur bei Spezialchemikalien weniger stark vom Strompreis abhängig und da Lieferketten und Logistik wesentlich störungsfreier funktionierten als im Vorjahr konnte Alzchem die Sicherheitslagerbestände der Rohstoffe und Fertigwaren erheblich reduzieren.

Neue Stärken im Rüstungssektor

Seit dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine hat das Thema Landesverteidigung auch in Deutschland wieder einen ganz neuen Stellenwert. Die NATO-Staaten und damit auch die Bundeswehr füllen ihre ausgedünnten Bestände auf und ersetzen das an die Ukraine abgegebene Wehrmaterial durch neues. Alzchem profitiert hiervon als Lieferant für wichtige Vorprodukte.

Bereits 2023 erzielte man im Anwendungsbereich der Guanidinsalze (Nitroguanidin) ein deutliches Wachstum. Hier beliefert das Unternehmen Kunden mit Bestandteilen für Airbags, Pflanzenschutz – und Wehrtechnik. Nachdem hier lange die Anwendungen der Agro-Chemie und Automotive-Industrie im Vordergrund standen, dominiert inzwischen der wehrtechnische Anwendungsbereich. Die Rüstungsindustrie benötigt Nitroguanidin für Munition, insbesondere für Artilleriegeschosse. Hier steigt die Nachfrage einerseits durch den hohen Verbrauch im Ukrainekrieg und andererseits durch viele neue Rüstungsinitiativen mit neuer, verbesserter Munition. Die NATO-Staaten wollen ihre Systeme besser aufeinander abstimmen, was zu größerer Nachfrage nach den betreffenden Angeboten führt. Und für Alzchem als Vorlieferant ist es fast egal, wer letztlich den Zuschlag bekommt, denn auf Nitroguanidin müssen alle Hersteller zurückgreifen.

Mitte März teilte Alzchem mit, man werde von der EU-Kommission im Rahmen des ASAP ('Act in Support of Ammunition Production') nach einem europaweiten Auswahlverfahren einen Investitionszuschuss in Höhe von 34,4 Mio. Euro erhalten. Diesen will das Unternehmen über einen Zeitraum von zweieinhalb Jahren nutzen, um die Produktionskapazität von Nitroguanidin zu erhöhen und die bestehenden Anlagen zur Herstellung von Guanidinnitrat, das Vorprodukt von Nitroguanidin, zu erneuern und zu erweitern.

Der DAX-Konzern Rheinmetall hat kürzlich einen Rahmenvertrag über 8,5 Mrd. Euro mit der Bundeswehr geschlossen für die Lieferung von Artillerie-Munition. Vor dem Ukraine-Krieg produzierte Rheinmetall 32.000 Geschosse und ab 2025 sollen es an allen Rheinmetallstandorten zusammen 700.000 Stück sein. Alzchem wird im Sog dieser massiven Produktionsausweitung kräftig mitgezogen und dürfte seine Umsätze und Gewinne in diesem Bereich über die nächsten Jahre hinweg absehbar steigern. Und da die NATO-Staaten ihre Rüstungsausgaben generell deutlich hochfahren, wird die Nachfrage auch nicht nur für kurze Zeit ansteigen, sondern sich auf einem deutlich höheren Niveau etablieren.

Starker Jahresauftakt

Der Aufbau zusätzlicher Fertigungskapazitäten kostet zunächst einmal Geld. Bereits 2023 flossen 20,6 Mio. Euro in Erweiterungs- und Infrastrukturmaßnahmen.

Im 1. Quartal 2024 lag der Umsatz mit 150, Mio. Euro noch auf Vorjahresniveau. Im Segment Specialty Chemicals legte er dabei um 8,4 % auf 93,0 Mio. Euro zu und das EBITDA kletterte um 41,9 % auf 22,7 Mio. Euro. Dagegen reduzierte sich der Umsatz im Segment Basics & Intermediates um 14 % auf 49,3 Mio. Euro und das EBITDA um 35,7 % auf 1,8 Mio. Euro.

Vor allem die Bereiche Human Nutrition (Creapure), Animal Nutrition (Creamino) und Verteidigung (Nitroguanidin) zeigten in den ersten drei Monaten 2024 eine starke Performance, so dass das EBITDA insgesamt um 31,7 % auf 24,9 Mio. Euro zulegte und die Marge von 12,6 % auf 16,6 % zulegte. Das Periodenergebnis verbesserte sich signifikant um 58,4 % auf 12,2 Mio. Euro. Trotz der erhöhten Investitionen verdreifachte sich der operative Cashflow auf 33,5 Mio. Euro und der Free Cashflow konnte sich 26,6 Mio. Euro sogar nahezu verfünffachen.

Aktuelle Zahlen zum Verlauf des 1. Halbjahrs wird Alzchem am 1. August veröffentlichen. Es ist davon auszugehen, dass sich der positive Trend weiter fortsetzen wird.

Bullcase vs. Bearcase

Quelle: wallstreet-online.de
Alzchem profitiert als Spezialchemieanbieter von der weiterhin hohen Nachfrage nach seinen Produkten, die nur wenige Anbieter im Portfolio haben. Bei der Produktion kommen weniger energieintensive Verfahren zur Anwendung und die sich wieder abkühlenden Energiepreise sowie entspanntere Lieferketten haben die Kostenseite merklich entlastet. Zudem entwickelt sich im Wehrbereich eine Sonderkonjunktur, die über viele Jahre steigende Umsätze und Gewinne verspricht.

Dem entsprechend ist auch bei der Kursentwicklung keine Tristesse zu verspüren. Seit dem Jahresanfang hat sich der Kurs glatt verdoppelt, seit dem allgemeinen Börseneinbruch im letzten Oktober sind es sogar rund 150 % Zuwachs. Eine starke Performance, die sich die Aktie aufgrund der steigenden Profitabilität und der glänzenden Aussichten auch redlich verdient hat.

Mit einem Börsenwert von 500 Mio. Euro gehört Alzchem zu den Nebenwerten an der Börse. Und zu den Hidden Champions, die Anleger sich gut ins Depot legen können, um auf mittlere und lange Sicht attraktive Zuwächse zu verbuchen.

Die 4 wichtigsten Dinge, die man über Alzchem wissen muss

  1. Als Nischenanbieter leidet Alzchem nicht so sehr unter der allgemeinen Branchenschwäche und den damit verbundenen Herausforderungen.
  2. Der Umsatz hält sich auf hohem Niveau, während Margen und Ergebnisse deutlich zulegen. Ein Trend, der sich weiter fortsetzen dürfte.
  3. Erhöhte Investitionen in zusätzliche Fertigungskapazitäten werden durch staatliche Fördergelder flankiert.
  4. Der Wehrbereich nimmt Fahrt auf und entwickelt sich zu einem immer stärkeren Umsatz- und Gewinntreiber.
Disclaimer: Habe Rheinmetall auf meiner Beobachtungsliste und/oder im Depot/Wiki.

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