Donnerstag, 27. Juni 2024

Kissigs Aktien Report über 'Greater Fools' und die Angst vor dem nächsten Allzeithoch

Im Rahmen meiner Kooperation mit dem 'Aktien Report' von Armin Brack nehme ich mir in unregelmäßigen Abständen interessante Unternehmen und Themen vor. Die Ausgaben des 'Aktien Reports' und/oder 'Geld Anlage Reports' erreichen ihre Leser samstags kostenlos und 'druckfrisch' per Email und man kann sich ▶ hier beim 'Geld Anlage Report' anmelden. Bonbon für die Leser meines Blogs: einige Tage später darf ich die Artikel dann auch hier veröffentlichen.

Aktien Report Nr. 170 vom 21.06.2024

'Greater Fools' und die Angst vor dem nächsten Allzeithoch

Die Partystimmung an den Börsen hält an, doch immer weniger Gäste feiern mit – viele liegen längst kaputtgespielt in der Ecke und müssen sich erholen. Nachdem die Ekstase dank des ultrabilligen Notenbankgeldes keine Grenzen zu kennen schien, erfolgte nach dem Entzug ein gewaltiger Kater. Doch auch der wurde nach einiger Zeit überwunden und der Partypegel stieg auf bisher ungekannte Höhen. Klar, wir Börsianer sind Feierbiester, wir wollen immer mehr, immer länger, immer stärker. Soweit die Kurse tragen.

Insgeheim wissen wir allerdings, dass auch die schönste Party irgendwann endet und dass dieses Ende oft nicht gut ausgeht. Der letzte macht das Licht an und sieht dann die ganze Bescherung – und darf die Rechnung zahlen.

Genauso fühlt sich die Stimmungslage an der Börse gerade an. Im Windschatten von NVIDIA und einigen ihrer Groupies sind auch die Kurse von Aktien gestiegen, die nicht so imposante Zuwächse bei Umsatz und Gewinn verzeichnen und deren Zukunftsperspektiven nicht ganz so rosig ausgemalt werden können. Mit anderen Worten: das Bewertungsniveau steigt und die Angst vor einer Blase wächst. Genauer gesagt: die Angst vor dem Platzen der Blase.

Also alles verkaufen? Ja, sagt Teufelchen. Aber Engelchen widerspricht und wird dabei von einer anderen Angst getrieben, der Angst, etwas zu verpassen (FOMO = the fear of missing out). Was für ein Dilemma. Also tauchen wir mal etwas tiefer in die Problematik ein…

Fakten versus Emotionen

Beim Investieren geht es um Zahlen und Fakten. Und es geht um Emotionen, um Angst und Gier. Beides läuft manchmal im Gleichschritt, meistens aber nicht. Investoren setzen auf die fundamentale Entwicklung, Spekulanten auf Kursveränderungen. Beide Ansätze haben ihre Berechtigung, beide haben ihre starken und schwachen Phasen. Moralisch will ich das nicht bewerten, auch dafür haben wir ja Engelchen und Teufelchen.

Dabei sind sich beide gar nicht so unähnlich, denn beide setzen im Grunde auf die Dummheit der Menschen. Kursspekulation basiert auf der Theorie des 'Greater Fool'. Ziemlich simples Konzept, man muss nur immer jemanden finden, der einem einen noch höheren Preis bezahlt, als man selbst mal aufwenden musste. Völlig egal, was das Objekt der Begierde für einen wirklichen Wert hat, es geht alleine darum, was der Kaufinteressent darin sieht und dass er den aufgerufenen Preis bezahlt. Seine Motivation für den Kauf, seine Expertise, seine Meinung, ist völlig belanglos.

Das Konzept erscheint deshalb so simpel, weil man keine Ahnung von Bilanzen haben, keine Geschäftsberichte durchackern und kein Verständnis für das Business eines Unternehmens haben muss. Man muss nur eine Aktie finden, die man jemand anderem teurer wieder andrehen kann. Das Prinzip gilt nicht nur für Aktien, es funktioniert auch bei Wein, Oldtimern oder Kunst. Oder Bitcoins. Und wie jedes Schneeballsystem.
"Prognosen sind schwierig. besonders wenn sie die Zukunft betreffen."
(Mark Twain)
In der Praxis ist es allerdings nicht ganz so leicht, denn man muss etwas finden, was absehbar im Preis steigen wird. Und die Trends ändern sich bisweilen schnell. Zudem muss man zum richtigen Zeitpunkt verkaufen, denn steigt man zu früh aus, verpasst man das Beste, und steigt man zu spät aus, hat man vielleicht schon einen erheblichen Teil seiner Buchgewinne wieder verzockt.

Völlig anders geht der Investor vor. Er ermittelt den Wert und kauft dann, wenn der Markt einen deutlich niedrigeren Preis dafür aufruft. Diese Sicherheitsmarge dient als Risikoabsicherung und stellt – zumindest theoretisch – den Minimalgewinn dar. Der dritte entscheidende Faktor neben Wert und Preis ist Zeit. Denn nach dem Kauf ist man davon abhängig, dass der Markt die Unterbewertung ebenfalls erkennt und behebt. Ob dies morgen, in 10 Jahren oder erst im nächsten Jahrtausend passiert, bleibt dabei die große Unbekannte – bis es passiert.

Zoom out – der Markt steigt immer

Sobald man Aktien gekauft hat, ist man abhängig von 'Mr. Market'. Dieses Phänomen gibt es schon seit es die Börse gibt und Benjamin Graham beschrieb ihn in seiner Börsenbibel 'The Intelligent Investor' als manisch-depressiven Charakter, der ständig und unaufgefordert in unser Büro stürmt und uns Preise für unsere Aktien zuruft. Mal sehr niedrige, wenn er sich depressiv fühlt, und mal überbordend hohe, wenn er eine manische Phase hat. Der entscheidende Faktor dabei ist: die Preise von Mr. Market sind seine Meinung, nicht der eigentliche Wert dieser Aktien.
"Die Aufgabe von 'Mr. Market' ist es, Ihnen Preise zu nennen; Ihre Aufgabe ist es, zu entscheiden, ob Sie darauf reagieren wollen. Sie müssen nicht mit ihm handeln, nur weil er Sie ständig dazu auffordert."
(Benjamin Graham)
Man kann mit Mr. Market Handel treiben, aber man muss nicht! Und würden seine Preisvorstellungen nicht in unserem Depotauszug auftauchen und uns dort den Wert unserer Unternehmensanteile vorgaukeln, würden wir wohl kaum von ihm und seinen Stimmungsschwankungen Notiz nehmen. Und im Grunde sollten wir das auch wirklich nicht. Man kann es auch anders betrachten und Mr. Market als seinen Nachbarn betrachten, der einem ständig über den Weg läuft und einem anbietet, das eigene Auto oder Reihenhaus an ihn zu verkaufen. Würde man auf seine sich permanent ändernden Preisvorstellungen eingehen oder den Typen doch eher ignorieren und ihn als lästig empfinden? Ja, mit ziemlicher Sicherheit. Aber bei Aktien, da geben wir uns völlig seinen Launen hin. Dabei zeigt die Erfahrung, dass die Börse immer steigt und das sollten wir doch einfach akzeptieren.

Ja, richtig gelesen: die Börse steigt immer. Jedenfalls auf lange Sicht. Je länger man an Bord ist, desto unwahrscheinlicher wird es, einen Verlust zu erleiden. Doch wenn man nur bis zum nächsten Tag blickt, liegt die Verlustwahrscheinlichkeit nahe 50 %. Und gefühlt sogar deutlich höher, weil wir Menschen dazu neigen, uns auf negative Aspekte zu fokussieren und es irgendwie immer (vermeintlich gute) Gründe gibt, weshalb die Börsen gerade jetzt einbrechen müssten. Vor allem, wenn sie mal wieder ein neues Allzeithoch markieren – so wie es der S&P 500 in 2024 bereits 31 Mal tat. In den letzten 12 Jahren erzielte er sogar 378 neue Allzeithochs und damit mehr als in jedem anderen 12-Jahres-Zeitraum in seiner Geschichte.
"Betrachtet man die letzten 50 Jahre, so erreichte der S&P 500 in 156 dieser 600 Monate und damit in 26 % der Zeit ein neues Hoch. Das kommt also viel häufiger vor, als man denkt. Ein Anleger, der bei jedem neuen Höchststand verkauft und auf einen niedrigeren Wiedereinstiegskurs gewartet hätte, hätte die Chance verpasst, mehr als das 200-fache seines Geldes zu verdienen, wenn er den S&P 500 einfach nur gekauft und 50 Jahre lang gehalten hätte."
(Bill Nygren, 2024)
Wie man es auch dreht und wendet, neue Allzeithochs sind ein Normalfall für die Börsen. Auch wenn es mal längere Phasen gibt, in denen sie auf sich warten lassen. So wie in der "lost decade" zwischen 2000 und 2010, als nach dem Platzen der Internetblase und der Terroranschläge des 11. September 2001 die Erholung durch die Globale Finanzkrise 2008/09 zunichte gemacht wurde. Das waren schon einschneidende Ereignisse und die Börsenkurse brachen massiv ein. Wer damals ins Depot blickte, hatte nicht selten Aktien mit 80 oder 90 % Kursverlust zu bestaunen.

Sowas gibt es auch in vergleichsweise normalen Zeiten, je nachdem, in was man investiert hat. 2022 ist ja noch gar nicht so lange her und viele der FinTechs und Online-Firmen haben ihre damaligen starken Kurseinbrüche noch nicht wieder wettgemacht. Also doch lieber alles verkaufen? Wohl kaum…
"Beim erfolgreichen Investieren geht um Risikokontrolle, nicht um Risikovermeidung."
(Benjamin Graham)
Die US-Börsen erzielen langfristig inkl. Dividenden über 10 % Zuwachs pro Jahr. Wer das Risiko von Aktieninvestments scheut, vermeidet keine Risiken, sondern er realisiert das größte aller Risiken: Vermögensverzehr durch Inflation.

Wer auf dem Tagesgeld 3 % Zinsen bekommt bei 3 % Inflationsrate macht unterm Strich Verlust, denn die vereinnahmten Zinsen muss er auch noch versteuern. Kursgewinne muss man erst versteuern, wenn man sie realisiert, Dividenden wenn sie einem gutgeschrieben werden. Damit fährt man auf jeden Fall besser und je länger man sein Geld so für sich arbeiten lässt, desto größer und schneller wächst das Vermögen an. Dank des Zinseszinseffekts.

Mein Fazit

Nicht jeder bringt das geeignete Rüstzeug mit, um ein Investor zu sein. Man muss erkennen, wenn Verluste existenzbedrohend sind, für einen selbst oder das jeweilige Unternehmen, in das man investiert hat, und dann muss man sein Risiko durch einen Verkauf begrenzen. Im Idealfall erkennt man die Risiken früh genug und erleidet nur moderate Verluste. Ansonsten sollte man Kursrückgänge als Stimmungsschwankungen von Mr. Market erkennen und sich von ihnen nicht zu sehr beeinflussen lassen. Solange der eigene Investment Case noch fliegt, gibt es keinen Grund seine Unternehmen zu opfern. Wenn man sich klar macht, dass man an einem Unternehmen beteiligt ist und nicht nur mit dessen Aktien spielt, führt dies zu mehr Gelassenheit. Einer Gelassenheit, bei der man sich nicht zu sehr selbst lobt, wenn die eigenen Aktien steigen, und bei der man nicht in Panik verfällt, wenn es mal abwärts geht.
"Psychologie verursacht viel stärkere Schwankungen als Fundamentaldaten - und zwar meist in die falsche Richtung oder zum falschen Zeitpunkt. Es ist entscheidend, diesen Schwankungen zu widerstehen."
Wer sich nicht zutraut, selbst geeignete Unternehmen ausfindig zu machen, kann auch einfach auf Indexfonds setzen. Die Auswahl ist groß, aber der S&P 500 ist schon eine gute Wahl, denn er hat die 12 % inkl. Dividenden pro Jahr abgeworfen. Selbst wenn es künftig 'nur' 8 % sein sollten, läge das noch immer deutlich über den Renditen, die man mit dem Sparbuch, dem Tagesgeldkonto oder einer Lebensversicherung erzielt.
"Es gibt nur eine wichtigste Zeit: Sofort!"
(Leo Tolstoi)
Bleibt eigentlich nur noch eines: endlich loslegen. Denn die Macht des Zinseszinseffekts steckt im Faktor Zeit. Die ist für uns alle endlich und daher erzielt man die besten Ergebnisse, je früher man beginnt. Selbst dann, wenn der Index gerade mal wieder ein neues Allzeithoch markiert…

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