▶ ÜBERSICHT | THEMENSCHWERPUNKTE

Dienstag, 1. August 2023

Kissigs Performance-Update: So liefen die Börsen und meine Wikifolios im Juli '23

Der Juli stand im Zeichen weiterer satter Kurszuwächse. In den USA ist die Earnings-Season im Gange und die Ergebnisse können durchaus überzeugen. Nachdem fast die Hälfte der Unternehmen des S&P 500 Zahlen vorgelegt haben, liegen die Ergebnisse je Aktie (GAAP) durchschnittlich um 7% über dem Vorjahrswert und können oft die Erwartungen übertreffen. Und doch stehen die Zeichen für den weiteren Jahresverlauf noch immer tendenziell eher auf Sturm, auch wenn die FED vielleicht ihren letzten Zins-Torpedo abgefeuert hat. Die EZB tat es ihr gleich, doch in Europa schwächelt die Konjunktur kräftiger und hier dürfte das letzte Wort in Sachen Zinserhöhung noch nicht gesprochen sein.

Erneut spielte KI die lauteste Geige und BigTech sorgt für die gewaltigsten Ausschläge. Nicht nur, weil der NASDAQ außer der Reihe rekalibriert wurde, um das Gewicht der 'Magnificent Seven' (der sieben Schwergewichte Apple, Microsoft, Alphabet, Amazon,  Meta Platforms, NVIDIA, Tesla) zu reduzieren. Microsoft konnte mit starken Zahlen glänzen, aber den Anlegern war der Ausblick nicht 'sportive' genug und die Aktie knickte ein. Alphabet konnte hingegen mit Zahlen und Ausblick überzeugen, ebenso Meta. MedTechs, Immobilien/REITs schwächeln hingegen weiter, während Energiewerte an ihrem Comeback arbeiten...

Die bestimmenden Themen blieben auch im Juli die gleichen: Inflation, Zinspolitik der Notenbanken, Ukraine-Krieg, Rezession in Europa und Pseudo-Rezession in den USA. Die Nachfrage nach Öl und Gas steigt weiter; so wurde in den USA die höchste Mai-Nachfrage nach Öl gemeldet, die jemals gemessen wurde. Nach Angaben der amerikanische Energiebehörde EIA erreichte die Kraftstoffnachfrage im Mai mit 20,78 Mio. Barrel pro Tag den höchsten Stand seit August 2019 und die Benzinnachfrage erreichte mit 9,11 Mio. Barrel pro Tag den höchsten Stand seit Juni 2022. Und nachdem Präsident Joe Biden Ende 2022 die strategischen Öl-Reserven der USA angezapft hat und im Frühjahr täglich 1 Mio. Barrel davon auf den Markt kam, um den Preis zu drücken, liegen die Reserven nun auf ziemlich tiefem Niveau. Wie auch die Preise, was beides für ein baldiges Wiederaufstocken der Öl-Reserven spricht. Währenddessen sinken die Investitionen in neue Förderquellen weiter. Wenn nun auch noch die Weltkonjunktur wieder anfängt Stärke zu zeigen, dürfte das Gesetz von Angebot und Nachfrage die Richtung vorgeben. Zudem läuft Ende 2024 der Gas-Transitvertrag zwischen Russland und der Ukraine aus und es ist eher unwahrscheinlich, dass er unter den gegebenen Umständen verlängert wird. Die Gas-Versorgung West- und Mitteleuropas wird sich also deutlich verschlechtern und auch durch zusätzliche LNG-Importe aus den USA kompensiert werden (müssen). Falls sich jemand fragt, weshalb Warren Buffett ständig bei fallenden Aktienkursen bei Occidental Petroleum weiter aufstockt...

Ich versuche weiterhin mit Stock-Picking die Unternehmen zu finden, die sich durch alle Börsen- und Wirtschaftslagen hinweg am besten schlagen. Aber das klappt nicht immer. Und damit meine ich einerseits die Aktienauswahl und andererseits die Hoffnung Erwartung, dass Unternehmen sich  als resilient erweisen. So kann mein favorisierter MedTech-Sektor weiterhin (noch?) nicht punkten und gehört weiter zu den Underperformern, da sie Corona-Sonderkonjunktur nach wie vor ausgepreist wird. Bei Danaher rückt zunehmend das Spin-off der Umweltsparte Veralto Corp in den Fokus, das für das 4. Quartal avisiert ist. Ein Update soll es Anfang September geben.

Auch im Juli hat der von mir erwartete Rebound im Finanzsektor, wo ich meine Positionen vor einigen Wochen ja deutlich ausgebaut hatte, weiter angehalten. Einzelne Missgeschicke, wie bei LendingClub, mal ausgenommen. Aber dazu später mehr.

Die Börsenentwicklung

Der Juli war sehr fest und die Rallye der US-Technologiewerte hat sich fortgesetzt, während die Aktienkurse in der Breite trotz Zins- und Rezessionsängsten ebenfalls deutlich zulegen konnten und an der 'Wall of Worries' in die Höhe kletterten. Alle Indizes sind kräftig gestiegen, wobei SDAX, DAX und DOW weniger stark abschnitten. Je höher der Tech-Anteil, desto stärker die Performance. Allerdings konnte der DOW mit 13 aufeinander folgenden Gewinntagen den zweitlängsten Gewinnlauf aller Zeiten verbuchen. 1987 waren es ebenfalls 13 Tage gewesen, Rekordhalter ist 1897 mit 14 Tagen.

• Dow Jones: +3,92 % (YTD: +6,98 % // 1 Jahr: +7,96 %)
S&P 500: +4,23 % (YTD: +19,34 % // 1 Jahr: +10,94 %)
NASDAQ: +5,43 % (YTD: +43,98 % // 1 Jahr: +21,65 %)
DAX: +3,28 % (YTD: +18,29 % // 1 Jahr: +22,14 %)
MDAX: +5,56 % (YTD: +14,29 % // 1 Jahr: +4,90 %)
SDAX: +3,22 % (YTD: +14,88 % // 1 Jahr: +6,94 %) 
TecDAX: +5,02 % (YTD: +13,06 % // 1 Jahr: +5,67 %) 
  Quelle: finanzen.net

Nachdem die NASDAQ das beste 1. Halbjahr ihrer Geschichte hinter sich gebracht hat, obwohl das Anfang des Jahres wohl niemand erwartet hätte, startete sie auch fulminant in die 2. Jahreshälfte. Die Aussicht auf ein Ende der Zinsanhebungen und perspektivisch wieder sinkende Zinsen im kommenden Jahr begünstigen Wachstumsaktien.

Im Laufe des August dürften nun die Hinweise auf den 'ungemütlichen Börsenherbst' zunehmen. Statistisch gesehen sind September und Oktober die schlechtesten Börsenmonate, aber das sollten Anleger nicht überbewerten und sich schon gar nicht davon einschüchtern lassen. Ich hatte mich kürzlich bereits ausführlich darüber ausgelassen:

Entwicklung meiner Wikifolios

Soweit mein kurzer Monatsrückblick. Jetzt kommen wir zur Entwicklung meiner drei vier Wikis:

Kissigs Nebenwerte Championszum Wiki

Investiertes Kapital: 1.836.400,- EUR
Preis: 121,43 (30.06.23: 124,13)

Rendite seit Start am 19.08.20: +21,4 %
Rendite 1 Monat: -1,6 %
Rendite in 2023: +8,6 % (YTD)
Rendite in 2022: -24,9 %
Rendite in 2021: +17,3 %
Rendite in 2020: +27,0 % (ab 19.08.)

Das Nebenwerte-Wiki hat in diesem Monat schlechter abgeschnitten als der SDAX. Die Underperformance hat drei wesentliche Gründe: heute gab Hypoport eine Prognosesenkung bekannt und die Aktie sackte deutlich ab. Hypoport ist aktuell die größte Depotposition, nachdem sie sich zuletzt sehr stark entwickelt hatte, hat sie LendingClub von der Spitzenposition verdrängt; die Aktie war um 20 % eingeknickt nach starken Quartalszahlen aber eine aus Anlegersicht zu verhaltenem Ausblick auf den Rest des Jahres.  

Und als drittes hatte kürzlich auch Evotec zweistellig verloren, nachdem auch hier die Jahresprognose gesenkt werden musste, aufgrund der doch größeren Auswirkungen der Cyberattacke, als das zuvor angenommen worden war. Dabei hatte ich Evotec erst Mitte Juli ins Wiki gekauft und die Aktie hatte sich seitdem sehr stark entwickelt und steht noch immer zweistellig im Plus. Zudem schwächelt mutares aktuell, nachdem die üppige Dividende ausgezahlt wurde und sich einige Dividendenjäger erstmal wieder aus der Aktie verabschiedet haben. Neben mutares hat auch Funkwerk eine schöne Dividende ausgeschüttet.

Heute habe ich dann noch einen Tausch im Wiki vorgenommen und GESCO verkauft, um die Deutsche Rohstoff AG aufzunehmen. Die deutsche Wirtschaft schwächelt und das dürften auch die GESCO-Unternehmen zu spüren bekommen. Der Energiesektor hingegen ist nach wie vor deutlich im Minus und die DRAG eines der günstigsten Unternehmen der Branche.

Kissigs Quality Investmentszum Wiki

Investiertes Kapital: 607.600,- EUR
Preis: 93,12 (30.06.23: 91,79)

Rendite seit Start am 13.08.20: -6,9 %
Rendite 1 Monat: +1,8 %
Rendite in 2023: +5,7 % (YTD)
Rendite in 2022: -33,9 %
Rendite in 2021: +24,0 %
Rendite in 2020: +7,0 % (ab 13.08.)

Mein Quality Investments-Wiki hat weiter zugelegt, obwohl die MedTechs Danaher, GE HealthCare Thermo Fisher nach Vorlage der Quartalszahlen einige Prozentpunkte abgeben musste. LendingClub hat auch hier Rendite gekostet, während PayPal und Airbnb kräftig zulegen konnten. Die drei Spitzenwerte KKR & Co, Costco Wholesale und Roper Technologies haben sich alle gut entwickelt. Zuletzt habe ich Texas Pacific Land ins Wiki genommen, um auch hier von den steigenden Ölpreisen zu profitieren.

Kissigs Turnaround-Spekulationen ▶ zum Wiki

Investiertes Kapital: 89.400,- EUR
Preis: 83,32 (30.06.23: 75,82)

Rendite seit Start am 12.10.21: -17,8 %
Rendite 1 Monat: +8,5 %
Rendite in 2023: +46,8 % (YTD)
Rendite in 2022: -38,1 %
Rendite in 2021: -9,4 % (ab 12.10.)

Bei meinen Turnaround-Spekulationen gibt der Turnaround weiterhin kräftig Gas: nach 8,5 % Plus im April, 10,5 % im Mai und 20,4 % im Juni konnte das Wiki im Juli weitere 8,5 % draufsatteln. Das liegt weiterhin vor allem an Opendoor Technologies, die nun schon über 250 % im Plus liegen und inzwischen eine Gewichtung von 28 % im Wiki erreicht haben. Auf den beiden folgenden Plätzen haben hatten LendingClub und Hypoport ebenfalls ordentlich zugelegt - bis zu ihren Einbrüchen. Das hat die Performance in diesem Monat belastet, während PayPal und Airbnb auch hier schön zugelegt haben. Zu erwähnen ist aber auch erneut Sofi Technologies, die sich hinter Opendoor nicht verstecken müssen und nun bereits 92 % im Plus notieren - deren Quartalszahlen waren sehr erfreut von der Börse aufgenommen worden.

Bei Opendoor sehe ich das Ende des Anfangs des Turnarounds gekommen, mehr aber noch nicht. Sofern sich der US-Immobilienmarkt richtig erholt und die Zinsen in den nächsten Jahren wieder etwas sinken, dürften hier deutlich zweistellige Kurse auf uns warten.

StoneCo habe ich etwas reduziert, KION ganz verkauft und bei Genworth Financial nochmals Anteile verkauft. Aufgestockt habe ich bei LendingClub - ein teurer Fehler aus aktueller Sicht - sowie PayPal neu aufgenommen.

Und auch Vermilion Energy ist wieder an Bord als Öl- und Gas-Spekulation. Die Corrib-Akquisition war deutlich günstiger als erwartet (weil die Übergewinnsteuer der EU die Gewinne der Zukunft schmälert), aber neben den gesunkenen Energiepreisen belasten die seit Monaten anhaltenden Waldbrände in Kanada. Daher hat VET kürzlich seine Jahresprognosen runtergesetzt. Auf der anderen Seite bekam man nun die Genehmigung seitens der Börsenaufsicht, bis zu 10 % der eigenen Aktien zurückzukaufen. Das Ende des Anfang 2024 auslaufenden Gas-Transitvertrags zwischen Russland und der Ukraine wird die Gas-Versorgung West- und Mitteleuropas erheblich verschlechtern und könnte einen erneuten kräftigen Preisschub auslösen. Auch deshalb will Wirtschaftsminister Habeck die Gaspreisbremse statt am Ende 2023 erst Ende April 2024 auslaufen lassen, um die Verbraucher nicht mitten im Winter in eine finanzielle Gasnotlage zu bringen (der Staat, also der Steuerzahler, wird dann die Verluste abdecken). Höhere Gaspreise in Europa wären Wasser auf die Mühlen von VET und würden den Cashflow kräftig anheizen, mit dem Schulden getilgt und Aktien zurückgekauft werden können.

NEU: Financial Power Investing ▶ zum Wiki

Investiertes Kapital: 32.300,- EUR (in das Wiki kann seit 28. Juni investiert werden!)
Preis: 122,48 (30.06.23: 114,87)

Rendite seit Start am 12.05.23: +22,4 %
Rendite 1 Monat: +6,7 %
Rendite in 2023: +22,4 % (ab 12.05.)

Ihr wisst ja, dass ich einen Schwerpunkt auf Alternative Asset Manager lege (▶ meine Investor-Updates) und auch in aussichtsreiche FinTechs und Insurtechs investiere. Teilweise mit beachtlichem Erfolg, bisweilen jedoch auch mit weniger soliden Ergebnissen, was auch - aber nicht nur - an der gegenwärtigen 'kleinen Finanzkrise' liegt, die den Finanzsektor in besonderem Maße beutelt. Doch hieraus ergeben sich auch überdurchschnittliche Chancen und daher habe ich mich entschlossen, ein entsprechendes Spezial-Wiki für die Kraftpakete der Finanzbranche aufzulegen.

Das Wiki ist seit einigen Wochen investierbar und schlägt sich bisher ausgezeichnet. BlackStone Group hatte ich vom Start weg doppelt so hoch gewichtet und sie haben sich prächtig entwickelt.
Dennoch liegt der Wert nur noch knapp vor Opendoor Technologies, denn der iBuing-Spezialist bricht auch hier alle Rekorde mit einem Zuwachs von nun bereits über 140 %. Hypoport hat heute 15 % abgegeben und LendingClub die Hälfte der bisherigen Gewinne pulverisiert. Autsch. Dem steht die solide Performance der weiteren Asset Manager KKR & Co, Apollo Global und BlackRock gegenüber und natürlich hat der starke Kursanstieg von SoFi Technologies auch hier Spuren hinterlassen (+133 % nach +70 % Ende Juni). Heute habe ich dann noch mutares ins Wiki aufgenommen - das hatte ich von Anfang an vor, doch bin ich (zu Recht) davon ausgegangen, nach der Dividendenzahlung günstiger zum Zug zu kommen .

Die Erholung im Finanzsektor und die grundsätzlich positiven Aussichten bergen auch künftig weiteres überdurchschnittliches Potenzial und daher sollte auch das Wiki besser performen als der Markt. Darauf setze ich - und ihr könnt das jetzt auch. ツ

LendingClub: Hier gibt es nichts zu sehen! Naja...

Zu LendingClub will muss ich noch ein paar Worte verlieren. Die Aktie ist in allen vier Wikis vertreten und teilweise unter den größten Positionen. Ebenso in meinem Investmentdepot. Mein Investmentcase ist voll intakt. Das klingt vermutlich ungewöhnlich, wo ich doch teilweise deutlich im Minus liege mit der Position, aber das hat nichts damit zu tun, dass ich falsch liegen würde. Ich habe nur zu früh gekauft und deshalb zu viel bezahlt. Ärgerlich. Und natürlich habe ich nicht alles richtig gemacht. Ich habe zwar die Zinsanhebungen der Notenbank vorhergesehen, aber nicht in dieser Schnelligkeit und dass sie so einen gravierenden Einfluss auf den Immobilienmarkt und LendingClub haben würden.

Die jüngsten Quartalszahlen lagen über den Prognosen. Der Umsatz ging zwar weiter zurück, aber LC nimmt zusätzliche Kredite auf die eigenen Bücher und wird hier schon verdienen. Der Marktplatz schwächelt aber. Dennoch gelang es LC erneut, profitabel zu bleiben. Die Bilanz ist sehr solide. Allerdings...

Ich verweise ja gern auf Howard Stanley Marks und sein Konzept des 'Second Level Thinking'. In Kurzform besagt es, dass man nicht (nur) auf den ersten Gedanken hören sollte, der einem durch den Kopf schießt. Man sollte stattdessen etwas tiefer schürfen und intensiver überlegen, welche Auswirkungen die Entwicklung mit sich bringen könnte. Tja, genau das habe ich bei LendingClub nicht getan. jedenfalls nicht genug. Ich habe wohl gesehen, dass die Zinsen steigen werden und dass die Notenbanken Liquidität aus dem System abziehen. Aber mein erster Gedanke war, dass dies eher positiv für LendingClub sein müsste, weil beides die Kreditnachfrage der LendingClub-Kunden anheizen müsste. Und genau das ist auch der Fall! LC könnte viel mehr Kredite vergeben, weil die Nachfrage so hoch ist. Und doch können sie das nicht. Weil - und das ist der Part, den ich auf der zweiten Ebene übersehen habe - LendingClub nicht alle Kredite auf die eigene Bilanz nehmen kann, sondern diese zumindest zum Teil weiterreichen muss. Doch genau dieses Marktplatzgeschäft strauchelt aktuell, denn die Banken selbst fahren ihre Kreditengagements zurück - und deshalb haben sie weniger Interesse, zusätzliche Kredite von LendingClub zu übernehmen. Und das ist das Problem. Denn LC verliert hierdurch nicht nur Marktplatzgeschäft und Provisionen, sondern auch einen wichtigen Exit-Kanal. Ohne die Weitergabe eines Teils der Kredite an andere Banken muss LC sein Volumen beschränken. Autsch. LC denkt, dass sich dies noch durch das 2. Halbjahr 2023 ziehen wird und damit länger belastet als zuvor gedacht. Diese Aussage schickte die Aktie auf Talfahrt. Aber...

Das LendingClub-Management hatte bereits im Earnings Call zum 1. Quartal eine neue Idee präsentiert: strukturierte Wertpapiere. Und im 2. Quartal hat man das Konzept erfolgreich in die Tat umgesetzt. Konkret nimmt sich LC Kundenkredite vor und formt aus ihnen ein strukturiertes Wertpapier, ein Zertifikat. Es teilt die Kredite in zwei Teile auf: der vordere Teil ist der erstrangige, den behält LC im eigenen Bestand. Der nachrangige Teil wiederum wird zusammen mit weiteren nachrangigen Kreditteilen gebündelt zu einem Zertifikat. Und dieses Zertifikat verkauft LC weiter an Finanzinvestoren. Mit entscheidenden Effekten.

Der erstrangige Teil verbleibt bei LC, aber nicht mehr im Kreditbuch, sondern nun im Wertpapierportfolio (weil es ja ein Zertifikat ist). Wichtiger ist der zweite Teil, denn die verkauften Zertifikate fliegen aus der LC-Bilanz. Und im Gegensatz zu dem verbleibenden erstrangigen Teil muss LC hierfür keine Verlust-Rückstellungen (CECL) mehr bilden, da die Kredite ja die eigene Bilanz verlassen haben. Der 'Clou' an der Sache ist, dass die Käufer keine Banken sind, die selbst CECL-Rückstellungen bilden müssten, sondern Finanzinvestoren. Diese unterliegen nicht den gleichen Regulierungsvorschriften wie Banken und damit ist die Kostenbelastung für den Kredit entsprechend geringer.

LC hat die Produkte erst aufgelegt, als man genügend Interesse von Finanzinvestoren hatte. Und die schwimmen nach wie vor im Geld und suchen dafür attraktive Renditen. Klar, bei normalen Zinsanlagen kriegt man jetzt zwischen 4 und 5 %, aber die LC-Kredite bringen deutlich mehr. Sie ersetzen ja Kreditkartenschulden, die rund 20 % pro Jahr kosten in den USA. LC nimmt knapp 4 % weniger, aber auch 16 % sind noch teuer. Oder eben attraktiv für den Gläubiger. Die Aufteilung in die beiden Zertifikatanteile bedeutet, dass LC für den erstrangigen Teil selbst noch vielleicht 14 oder 15 % einsackt, während der Finanzinvestor für das strukturierte und gebündelte Zertifikat 17 oder 18 % bekommt. Bei einem Zahlungsausfall kriegt zuerst LC sein Geld, während der Finanzinvestor nachrangig bedient wird - und deshalb dürfte er einen größeren Anteil der Zinsrate abbekommen.

Ich nenne diesen Schachzug von LendingClub nicht genial, weil es nichts Neues ist. Pfandbriefe gibt es in Deutschland bereits seit dem 19. Jahrhundert - und nichts anderes sind mit Grundschulden besicherte Wertpapiere. Banken machen sowas ständig, sie stricken neue Finanzprodukte zusammen. 'Asset backed Securities' nennen sie die und diese ABS waren der Auslöser der Globalen Finanzkrise. Aber nicht diese strukturierten Wertpapiere selbst, sondern ihre Sicherheiten. Denn ursprünglich wurden erstklassige Hypotheken als Sicherheiten für die ABS verwendet und diese erhielten das beste Bonitätsrating. Später mischten die US-Banken dann erstklassige und weniger gute Hypothekenkredite miteinander und erhielten von den Ratingagenturen noch immer die Bestnote. Selbst als sie notleidende Kredite beimischten, bleibt das AAA-Rating erhalten. Und rund um den Globus kauften Anleger, Investoren und Banken diese 'erstklasssigen Wertpapiere' mit den attraktiven Zinssätzen, ohne zu ahnen, dass sie einen immer größer werdenden Berg an Mist enthielten.
"Wenn man Rosinen und Schiete mischt, hat man immer noch Schiete."
(Charlie Munger)
Und dann kollabierten die Rückzahlungen und mit ihnen die strukturierten Wertpapiere. Sie wurden zu 'Giftpapieren'. Die Ratingagenturen wurden zu Recht an den Pranger gestellt und auch die Banken mussten am Ende viele Milliarden an Strafen bezahlen.

Und nun sind ABS wieder da. Aber eben nicht mehr unkontrolliert, sondern wieder als 'korrekte Wertpapiere'. LendingClub nutzt sie jetzt auch. Wie gesagt, ich will das nicht genial nennen, aber es ist innovativ. LC schafft auf diese Art nämlich einen neuen Exit-Kanal. Und damit geben sie ihrem Business einen zusätzlichen Schub. Weil LC nun nämlich wieder das Kreditvolumen erhöhen kann, obwohl der Marktplatz nicht richtig funktioniert (hier kaufen die Banken), denn man verkauft nun an Finanzinvestoren. Eine neue Zielgruppe, die auch bei einem wieder funktionierendem Marktplatz und größerer Nachfrage seitens der Banken bestehen bleibt. Man könnte es auch so formulieren: LendingClub hat durch die strukturierten Wertpapiere seinen 'adressierbaren Markt' deutlich vergrößert. Sie können nun wieder mehr Kredite vergeben, ohne dass sie ihre Kreditstandards senken müssten. Die Nachfrage steigt und man kann sich die Rosinen rauspicken. Und nun auch an Finanzinvestoren weiterreichen. Beinahe grenzgenial.

Mein Fazit: Das 'Quantitative Tapering' der FED, also das Entziehen von Liquidität aus dem Markt, tut dem LC-Business nicht gut, weil die Banken dadurch eine geringere Nachfrage nach LC-Krediten haben und das Marktplatzgeschäft darunter leidet. LC reagiert und schafft sich eine eine neue Abnehmergruppe durch die Bündelung von Kundenkrediten zu strukturierten Wertpapieren. Dies ist zunächst eine teilweise Kompensation der brachliegenden Marktplatzumsätze, kann aber zu einem gleichwertigen Exit-Kanal heranwachsen und zwar über die aktuelle Marktschwäche hinaus. Ich glaube nicht, dass der Markt das hierin schlummernde Potenzial schon richtig wahrgenommen hat. Aber das dürfte irgendwann der Fall sein, wenn LC die Erfolge künftig in seinen Quartalszahlen vorweisen kann.
"Eine notwendige Bedingung für die Existenz von Schnäppchen ist, dass die Wahrnehmung deutlich schlechter sein muss als die Realität. Die besten Gelegenheiten sind daher in der Regel dort zu finden, wo die meisten nicht hinsehen wollen. Denn wenn jeder etwas gut findet und gerne mitmacht, dann ist es kein Schnäppchen. (...) Die meisten großartigen Investitionen beginnen mit Unbehagen. Die Dinge, bei denen die meisten Menschen ein gutes Gefühl haben - Investitionen, bei denen die zugrunde liegende Prämisse weithin akzeptiert wird, die jüngste Wertentwicklung positiv war und die Aussichten rosig sind - sind wahrscheinlich nicht zu Schnäppchenpreisen erhältlich... Vielmehr werden Schnäppchen normalerweise bei Dingen gefunden, die umstritten sind, denen die Menschen pessimistisch gegenüberstehen und die sich in letzter Zeit schlecht entwickelt haben."
Als 'Schnäppchen' kommt die LendingClub-Aktie momentan nicht daher. Gemessen am Gewinn ist sie teuer. Allerdings wird dieser durch die CECL-Rückstellungen belastet und durch das - vorübergehend?! - siechende Marktplatzgeschäft. Perspektivisch dürften sich diese Wolken Richtung 2024 zunehmend auflösen und dann sollten sich die Geschäftszahlen deutlich freundlicher präsentieren und die von mir (schon länger und bisher irrig angenommene) Neubewertung der Aktie Fahrt aufnehmen. Bis dahin hilft nur verkaufen - oder Geduld. Und zum Verkaufen sehe ich keinen vernünftigen Grund...

Ende, aus, vorbei...

Es war ein weiterer emotional fordernder Monat, nicht nur für Börsenneulinge. Ich bedanke mich an dieser Stelle wieder bei allen Anlegern, die mir mit ihren Investments das Vertrauen aussprechen und in die vier Wikis zusammen knapp 2,6 Mio. EUR investiert haben. Das sind etwa 50.000 EUR weniger als vor einem Monat.

Meine durchschnittliche jährliche Zielrendite ist 15 %. Hinsichtlich meines "operativen Net Worth" habe ich in den letzten acht Jahren sechs Jahre mit Renditen zwischen 22 % und 37 % angeschlossen, während 2018 knapp 10 % Verlust einspielte und 2022 sogar -16,75 % - mein schlechtestes Ergebnis der letzten 20 Jahre (im Jahr 2000 habe ich prozentual noch deutlich mehr versenkt, aber mit einem deutlich kleineren Depotvolumen).

2023 steht hier mit +29,75 % (+7,0 % ggü. Juni) außergewöhnlich gut da; neben dem saustarken Januar haben auch ein guter Mai, ein sehr starker Juni und nun ein sehr guter Juli die Performance ordentlich weiter hochgeschraubt. Aber... da fließen ja auch noch die operativen Ergebnisse meiner Firma und mein privates Budget mit ein, so dass die Entwicklung nicht 1:1 mit meinen Investment(miss)erfolgen vergleichbar ist. Der Rebound im von mir hoch gewichteten Finanzsektor (Blackstone, Apollo Global, KKR und ganz besonders Opendoor) hat hier in den letzten Wochen weiter ordentlich Wirkung gezeigt.

Disclaimer: Habe die genannten Werte auf meiner Beobachtungsliste und/oder im Depot/Wikifolio.

10 Kommentare:

  1. Guten Abend Herr Kissig, nochmals vielen Dank für ihren ausführlichen Artikel. Was denken Sie aktuell über die Patrizia? Stefan Waldhauser hat in seinem Update zu LC erwähnt, dass es bald eine neue "Super" App auf dem Markt kommen wird ...Insofern denke ich, dass sich das aktuelle Warten auf einen spannenden Geschäftsverlauf auszahlen kann. :-)

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Auf die LC-Super-App bin ich auch mal gespannt. ;-)

      Zu Patrizia... So richtig überraschend kommt die Gewinnwarnung nicht. Investitionen in Immobilien laufen zurzeit nicht richtig gut und bei Patrizia kommt erschwerend hinzu, dass sie nicht unterjährig Provisionen einstreichen, sondern erst/nur bei gewinnträchtigen Verkäufen und/oder wenn ein Fonds am Ende seiner Laufzeit abgerechnet wird. Daher kommen Provisionen normalerweise aus dem Fondsvertrieb und der läuft aktuell schleppender als erwartet.

      Blackstone zB berechnet ja auch Management-Fees und nicht nur Performance-Fees, daher fließen dort auch Provisionen, wenn keine Verkaufsgewinne erzielt werden. Ich denke, Patrizia sollte bei künftigen Fonds ebenso verfahren, aber bei den bestehenden Fonds kann man nicht einfach die Regeln ändern.

      Löschen
  2. Moin Michael, opendoor muss heute ganz schön bluten. Nutzt du die Chance zum Nachkauf?

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Ja, ich habe heute bei -20 % ein paar Opendoor zugekauft; die Zahlen fand ich schon beeindruckend gut. Aber mein Fokus lag die letzten Tage stärker auf dem Energiesektor, wo ich Texas Pacific Land, Vermilion Energy und auch die Deutsche Rohstoff AG aufgestockt habe (und auch Danaher). Deshalb habe ich nicht mehr Geld in weitere Opendoor gesteckt; ist mit 5,25 % meine fünftgrößte Depotposition hinter Costco und den drei Alternativen Asset Managern Blackstone, Apollo Global und KKR.

      Löschen
  3. Fand die Zahlen auch sehr gut. Vermillion drehen auch wieder nachdem sie aktuell noch mit 50% im Minus bei mir im Depot stehen

    AntwortenLöschen
  4. Hallo Herr Kissig,
    Respekt und Dank von meiner Seite, dass Sie ihr "Anlegerverhalten" hier so öffentlich darstellen. Man kann (könnte) einiges lernen:-)
    Und das für nur 5 € im Monat:-)
    Ich hätte eine Frage /Anregung zu ihrem neuen Wikifolio. Kennen Sie die Aktie Pagaya Technologies? Es gibt da einen interessanten Artikel von Bert Hochfeld auf Seeking Alpha:
    https://seekingalpha.com/article/4612909-pagaya-technologies-hitting-the-right-notes-in-ai-powered-consumer-lending. Ich würde mich über eine Meinung hierzu freuen.

    Gruß

    J. Rothmund

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Erstmal vielen Dank für den PayPal-Spendendauerauftrag! =)

      Pagaya Technologies sagt mir nicht viel, ich werde mir das Unternehmen aber bei Gelegenheit gerne mal ansehen. Bert Hochfelds Analysen sind jedenfalls immer wieder lesenswert.

      Allerdings scheint der Wert nur an der NASDAQ gelistet zu sein, daher kann er nicht in ein Wikifolio gekauft werden.

      Löschen
  5. Moin Michael, bist du bei vermillion noch an Bord? Der Kurs ist in den letzten Wochen wieder zurück gekommen
    VG Thomas

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Moin Thomas,
      der Ölpreis ist deutlich zurückgekommen, auch weil die Konjunktursorgen zunehmen. Alle Energiewerte leiden darunter, auch Vermilion Energy. Mein Schwerpunkt liegt auf der Deutschen Rohstoff AG und Texas Pacific Land; Vermilion ist für mich eine Beimischung mit dem Schwerpunkt auf Gas in Europa.

      Löschen
  6. Danke für deine Antwort und die immer sehr informativen Artikel

    AntwortenLöschen