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Aktien Report Nr. 138 vom 23.06.2023
Kann man bald mit Börsengängen wieder richtig Geld verdienen?
Es gibt Zeiten an der Börse, da kann man nichts falsch machen und das Geld ist leicht verdient. Vor dem Platzen der Dotcom-Bubble im Frühjahr 2000 war so eine Phase, als alle Aktien in unermessliche Höhen stiegen. Und auch 2021 haben wir eine solche Phase erlebt, es gab kein Halten mehr.
Beide Phasen hatten einige Parallelen aufzuweisen: die Wirtschaft boomt, die Notenbanken hielten die Zinsen niedrig und pumpten zusätzlich viel Geld in den Markt und Investoren standen Schlange, um so gut wie jede Idee zu finanzieren. 'Greater-Fool-Zeiten' sind das, wenn es nicht mehr darum geht, das fundamental beste und unterbewertete Unternehmen herauszupicken, sondern wenn man jede beliebige Aktie kaufen kann in der Gewissheit, dass es morgen einen noch größeren Dummkopf gibt, der sie einem zu einem höheren Preis abkauft. Leichte Kursgewinne, leicht verdientes Geld – und jeder Anleger meint natürlich, seine Gewinne würden seiner Gerissenheit und Cleverness zuzuschreiben sein und nicht einfach der Tatsache, dass man schnell zu den Gewinnern gehört, wenn alle Aktien steigen.
"Bullenmärkte steigen den Menschen zu Kopf. Wenn Sie eine Ente in einem Teich sind und der Teich aufgrund eines Regengusses ansteigt, steigen Sie in der Welt auf. Aber Sie denken, dass es an Ihnen liegt und nicht am Teich."
In solchen Phasen sind nicht die Aktien angesagt, die bereits an der Börse notieren, sondern es sind auch die Zeiten, in denen IPOs heiß begehrt sind. Ende der 1990er Jahre kamen reihenweise Internetbuden an die Börse, die kein Geschäft hatten, sondern nur eine skizzierte Idee, wo wenig Umsatz erzielt wurde und Gewinn noch nicht einmal in Jahrzehnten absehbar war. Aber zwei- oder dreistellige Millionenbeträge als Emissionserlös, das war durchaus machbar.
Doch das Ende kam und es kam mit einem Knall. Die US-Notenbank läutete die Zinswende ein (klingt bekannt, oder?) und auf einmal war kein frisches 'silly money' mehr verfügbar und 'cash burn' wurde zum neuen Maßstab. Unternehmen, die massiv Geld verbrannten, waren auf immer weitere Kapitalspritzen angewiesen - doch die blieben aus und die Unternehmen gingen reihenweise Pleite.
2021 war es ähnlich. Beinahe täglich gab es neue IPOs und die Erstzeichner konnten zumeist üppige Zeichnungsgewinne einstreichen und auch anschließend stiegen die Aktienkurse weiter.
Aus, vorbei. Die US-Notenbank leitete die Zinswende ein und verknappte das Geld. Der IPO-Strom verebbte, die Kursgewinne blieben aus, ehemalige Zeichnungsgewinne verwandelten sich in zweistellige Kursverluste.
In solchen Zeiten haben es auch seriöse und solide Unternehmen schwer, an die Börse zu gehen. Der Markt spielt einfach nicht mit, die Nachfrage ist nicht (mehr) vorhanden. Das ist bedauerlich – für das Unternehmen, das beim Börsengang frisches Geld für die Expansion in die Kassen bekommen wollte, und/oder für die Alteigentümer, die beim IPO einen Teil ihrer früheren Investitionen versilbern wollten.
2022 war kein gutes Jahr für Börsengänge
Schauen wir uns mal die Bilanz der in Deutschland erfolgten Börsengänge seit 2021 an (im Regulierten Markt). Stand heute gab es 16 Börsengänge, von denen genau zwei (noch) im Plus notieren: Vantage Towers kam im März 2021 an die Börse und notiert 35 % über dem Emissionspreis – allerdings ist die Börsenlebenszeit des Unternehmens bereits wieder Geschichte, denn Global Infrastructure Partners (GIP) und KKR & Co. haben das Unternehmen übernommen und nehmen es von der Börse. Der zweite Börsenhighflyer ist die Porsche AG, die 34,6 % über ihrem Emissionspreis notiert. Das war‘s. Alle anderen IPOs sind teilweise katastrophal im Minus. Am besten hat sich noch IONOS gehalten, die ‚nur‘ 29 % unter Wasser sind. Den Vogel schießt aber die Cherry AG ab, die 89,2 % Kursabsturz zu verzeichnen hat. Und sie ist kein Einzelfall, denn immerhin 7 der 16 IPOs notieren bei 80 % oder mehr im Minus.
Eine niederschmetternde Bilanz und man könnte meinen, man sollte lieber die Finger von Börsengängen lassen.
"Du brauchst dich nicht wirklich darum zu kümmern, was bei IPOs eigentlich los ist. Leute gewinnen jeden Tag im Lotto."
Und Börsenaltmeister Warren Buffett rät Anlegern auch genau das. Doch nicht etwa, weil es keine interessanten oder guten Unternehmen an die Börse ziehen würde. Der Grund liegt woanders. Buffett meint, es wäre schlicht unsinnig anzunehmen, dass man als Anleger besser informiert sei, als die (Aktien abgebenden) Insider. Die Unternehmen putzen sich heraus für den Börsengang, die Zukunft wird in den schönsten Farben ausgemalt, die Kosten unter Kontrolle gehalten und die Nachrichtenlage möglichst positiv dargestellt. Doch nach dem Börsengang folgt dann der raue Alltag und oft die Katerstimmung, wenn sich die Prognosen als zu optimistisch erweisen oder die Annahmen als nicht einzuhalten.
Buffett meint deshalb, Anleger sollten lieber nicht an IPOs teilnehmen, sondern sich erst mal einige Zeit den Kursverlauf an der Börse ansehen und dem Markt Zeit geben, seine Bewertung für die Aktien vorzunehmen. Zudem sei es ratsam, sich erstmal ein paar Quartals- und Geschäftsberichte anzusehen und live mitzuerleben, wie treffsicher sich die Prognosen des Vorstands erweisen und wie er ggf. mit Fehlentwicklungen umgeht. Buffett will lieber ein solides Unternehmen etwas teurer kaufen, als die Katze im Sack.
Und nun…?
Wir schreiben das Jahr 2023 und die Aktien markieren neue Allzeithochs. Alle Aktien? Nein, nur eine Handvoll und zwar vor allem die Technologieschwergewichte Apple, Microsoft, NVIDIA & Co. Sie alleine zerren die Börsenindizes auf neue Höchststände, während die Mehrzahl der Aktien keine Gewinne vorzuweisen hat oder sogar weiter abrutscht.
Und dann sind da noch die KI-Hypelinge, natürlich. Alles, was auch nur im Entferntesten mit KI zu tun hat oder schon mal was gesehen hat, das wie KI aussieht, wird bedenken- und gedankenlos hochgekauft. Manches Unternehmen zu Recht, viele dürften sich als Luftschlösser erweisen und genauso enden.
Die US-Notenbank entzieht dem Markt noch immer Geld, um die Inflation zu bekämpfen und die (aus ihrer Sicht) zu starke Wirtschaft zu bremsen. Und die hochgeschossenen Zinsen haben dazu geführt, dass viel Geld aus dem Markt in Geldmarktfonds geflossen ist. Doch 5 % Rendite bei 5 % Inflation klingt nicht wirklich sexy, wenn man mit Tesla 150 % oder NVIDIA 250 % in wenigen Wochen machen kann. Inzwischen fließt also auch wieder 'geparktes Geld' zurück in die Börsen und treibt dort die Kurse mit an.
Cava Group mit fulminantem Debüt
Das hilft auch bei anstehenden Börsengängen. Gerade ging die Cava Group an die Börse und die Aktien des Restaurantunternehmens legten ein fulminantes Debüt hin. Am ersten Handelstag haben sich die Cava-Aktien in etwa verdoppelt, da die Anleger von den Aussichten dieser griechisch inspirierten Restaurantkette begeistert sind. Cava wurde 2006 gegründet, als das erste Cava Mezze in Rockville von einem Trio von Schulfreunden eröffnet wurde. Inzwischen sind 263 Standorte in Betrieb. Die Anleger setzen wohl darauf, dass Cava im Restaurant-Business ähnlich erfolgreich werden kann, wie Starbucks im Kaffeebereich. Mit dem früheren Panera-Erfolgsmanager Ron Shaich hat Cava jedenfalls einen Anführer an Bord, der genau weiß, worauf es ankommt:
"Es ist gar nicht so schwer, wenn man ein Unternehmen leitet, das Quartal zu überstehen. Man kann die Kosten senken, man kann die Preise erhöhen. Aber die Frage ist, ob man sich einen nachhaltigen Wettbewerbsvorteil verschafft. Meiner Ansicht nach gibt es nichts Wichtigeres als Wettbewerbsvorteile."(Ron Shaich)
Aber ob derartige Kursgewinne gerechtfertigt sind, bleibt abzuwarten…
Thyssenkrupp muss kleinere Wasserstoff-Brötchen backen
In Deutschland treibt zurzeit ein anderer Börsengang die Fantasie der Börsianer an. Es geht um die Wasserstoffsparte von Thyssenkrupp, die nun als Nucera an die Börse kommen soll. Es wurden bereits Bewertungen von 3 Mrd. Euro rumgereicht und nachdem der Stahlkonzern nun seine Pläne konkretisiert hat, gab es erstmal lange Gesichter. Am 7. Juli soll die Börsennotiz aufgenommen werden und es werden knapp 30,3 Mio. Aktien aus einer Kapitalerhöhung angeboten. Die Preisspanne liegt zwischen 19 und 21,50 Euro und das entspricht einem initialen Börsenwert zwischen 2,4 und 2,7 Mrd. Euro – also unter den bisherigen Erwartungen. Die Emission wird Thyssenkrupp voraussichtlich zwischen 500 und 566 Mio. Euro einbringen und die Essener wollen die Erlöse in den Geschäftsbereich der alkalischen Wasserelektrolyse (AWE) von Nucera investieren und mit dem frischen Kapital soll die internationale Präsenz ausgebaut sowie langfristig Kosten gesenkt werden.
Ob mit Wasserstoff wirklich jemals Geld verdient werden kann, vor allem auch ohne die momentan hohen Fördermittel, bleibt abzuwarten. Es steckt viel Hoffnung drin, aber bisher noch vergleichsweise wenig Substanz. Und Marktpotenzial alleine reicht nicht für den Börsenerfolg!
An dieser Stelle sei an zwei Erfolgs-IPOs der Industrieholding MBB erinnert. MBB hatte seinen klassischen Automobilzulieferer mit der viel kleineren Elektro-Antriebstochter Aumann fusioniert, die auch minimale Umsätze im Bereich Wasserstoff machte. Auf dem gerade grassierenden Wasserstoff-Hype ritt MBB die Aumann AG 2017 an die Börse und es wurde ein großer Erfolg. MBB vervielfachte seinen Einsatz, der Kurs stieg erstmal ordentlich an und MBB machte nochmals Kasse – heute notiert er weit unterhalb des IPO-Preises.
Einige Jahre später wiederholte MBB dieses Spiel bei Friedrich Vorwerk, einem führenden Netz-Infrastrukturunternehmen, das stark im Bereich Gasnetze positioniert ist und große Expertise im LNG- und Wasserstoffbereich hat. Im Frühjahr 2021 ging Friedrich Vorwerk an die Börse und hielt sich anfangs über 50 Euro. Heute kann man die Aktie für 10 Euro kaufen, im März gab es sogar schon mal einstellige Kurse.
Beides sind hervorragende Unternehmen, die in einem Hype an die Börse kamen, als die Anleger einseitig auf die Chancen sahen und nicht auf Risiken. Wichtig ist nicht nur die Fantasie, sondern die nackten Geschäftszahlen müssen den Aktienkurs untermauern, sonst drohen Kursabstürze. Bei Aumann und Friedrich Vorwerk mussten Anleger diese Lektion mal wieder neu lernen. Bei Bike24 (-80 % seit IPO am 25. Juni 2021), Mr. Spex (-86,5 % seit IPO am 2. Juli 2021) und Auto1 (-80 % seit IPO am 4. Februar 2021) ebenfalls.
Mein Fazit
Wir erinnern uns an Warren Buffetts Ratschlag. Man möchte beim IPO dabei sein, weil man Angst hat, eine Riesenchance zu verpassen ('FOMO'). Und manchmal passiert das auch wirklich. Doch die Erfahrung zeigt, dass es sich viel mehr auszahlt, sich erstmal zurückzuhalten. Gute Unternehmen entwickeln sich über Jahre und Jahrzehnte und man muss nicht ab der ersten Sekunde an Bord sein, um fette Kursgewinne einzustreichen. Wer beim Google-Börsengang nicht zum Zuge kam, hatte anschließend reichliche Gelegenheiten, auf den Erfolgszug aufzuspringen. Bei Microsoft, Apple oder Tesla ebenfalls. Oder NVIDIA. Aber es müssen nicht die großen Namen sein: viel besser als Apple (ja, das gibt es!) entwickelte sich der Getränkespezialist Monster Beverage. Oder die Pizza-Kette Domino’s. Beide Aktien konnte man jahrzehntelang kaufen und am enormen Erfolg teilhaben, ohne gleich beim Börsengang zugegriffen zu haben.
Erst nachdenken, dann ordern. Das ist eigentlich immer die richtige Entscheidung, nicht nur bei Börsengängen und anderen vermeintlich einmaligen Gelegenheiten…
Disclaimer: Habe Apple, Friedrich Vorwerk, KKR, MBB, Microsoft, NVIDIA, Tesla auf meiner Beobachtungsliste und/oder im Depot/Wiki.
Ich bin auch ein Aumann Geschädigter - nach einem Einstieg zu Kursen, die noch OK waren, kaufte ich kurz vor dem Absturz noch mal nach, und bin seither massiv im Minus. Ein Blick auf die Geschäftszahlen hätte überhaupt nicht geholfen, denn Aumann an sich geht es, kann man den Berichten glauben, prächtig, man hat ein vernünftiges Management, hat viele Kunden und Elektroautos dürften auf Dauer eine wichtige Rolle spielen, wenngleich ich sie nicht als Allheilmittel sehe. Alles sprach dafür, MBB Aktien hatte ich auch. Und nun ist seit vielen Jahren der Kurz schlicht wie mit Blei beschwert, übrigens auch bei MBB. Verhext.
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