Im Rahmen meiner Kooperation mit dem "Aktien Report" von Armin Brack nehme ich mir in unregelmäßigen Abständen interessante Unternehmen vor. Die Ausgaben des "Aktien Reports" und/oder "Geld Anlage Reports" erreichen ihre Leser samstags kostenlos und "druckfrisch" im Email-Postfach und man kann sich ▶ hier beim "Geld Anlage Report" anmelden. Bonbon für die Leser meines Blogs: einige Tage später darf ich die Artikel dann auch hier veröffentlichen.
Aktien Report Nr. 107 vom 23.09.2022
Aufstieg und Fall von Ikarus: Porsche vor Börsenhöhenflug, während Immobilienwerte abstürzen
Von Ikarus haben viele schon mal gehört, aber so richtig präsent hat man die Geschichte aus der griechischen Mythologie nicht mehr. Ikarus und sein Vater Dädalus wurden von König Minos zur Strafe ins Labyrinth des Minotauros auf Kreta eingesperrt, aus dem es kein Entrinnen gab, zumal Minos über das Land und die See herrschte. Gewitzt, wie sie waren, ersonnen die beiden dennoch einen Fluchtplan.
Sie befestigten Federn an einem Gestänge und zwar mittels Wachs. Das Material hatte allerdings einige Schwächen und so schärfte Dädalus seinem Sohn Ikarus ein, keinesfalls zu tief zu fliegen, damit das Meerwasser das Wachs nicht aufweichen kann und auch nicht zu hoch, weil es ansonsten von der Sonne zum Schmelzen gebracht werden könne.
Ikarus nahm sich die Mahnungen zu Herzen und entkam dem Labyrinth. Da alles gut ging wurde er jedoch übermütig und wagte sich zu nah an die Sonne – das Wachs schmolz, seine Flügel lösten sich auf und er stürzte zu Tode.
Eine Geschichte, wie sie wohl jeder schon mal erlebt hat, jedenfalls im übertragenen Sinn. "Hochmut kommt vor dem Fall" ist wohl die deutsche Kurzfassung und die Quintessenz aus der Geschichte des Ikarus. Sowohl im Leben als auch an der Börse. Auch dort wird Übermut bestraft, auch dort zahlt man einen hohen Preis, wenn man nicht vorsichtig genug ist und die Risiken ausblendet. Aufstieg und Fall liegen dicht beieinander.
Porsche: Börsengang in der Schlussphase
Einen Höhenflug haben Automobilhersteller nicht gerade erlebt in den letzten Jahren. Abgasskandal, Coronaeinbruch, US-China-Handelskrieg, Chipmangel, Produktionsausfälle, Wirtschaftseinbruch. Dabei fährt die Entwicklung durchaus zweigleisig, denn Premium- und Luxushersteller profitieren durchaus, während die Massenhersteller stark unter Druck geraten sind.
Porsche ist zweifellos einer dieser Premiumhersteller und glänzt mit Umsatz- und Gewinnzuwächsen. Allerdings ist man nur ein kleiner Teil im Weltkonzern Volkswagen und kommt daher börsenseitig kaum zur Geltung. Das soll sich nun ändern, denn Porsche kehrt zurück an die Börse. Das Grundkapital des Sportwagenherstellers Porsche AG in Höhe von 911 Mio. Euro wurde hälftig in Stamm- und Vorzugsaktien aufgeteilt und ein Viertel der Vorzugsaktien wird nun an die Börse gebracht (also ein Achtel des Grundkapitals).
Wir hatten uns das Ganze schon vor zwei Wochen angesehen ("Porsche rast an die Börse") und nun liegen die Details auf dem Tisch: Die Zeichnungsfrist läuft bereits und noch bis zum 28. September können Anleger Vorzugsaktien der "Dr. Ing. h.c. F. Porsche AG" zeichnen. Die 113,9 Mio. Vorzugsaktien werden in einer Spanne von 76,50 bis 82,50 Euro angeboten.
Privatanleger stehen allerdings nicht im Fokus der Emission und werden auch kaum zum Zug kommen. Das Konsortium wird von Goldman Sachs angeführt und besteht überwiegend aus weiteren US-Großbanken wie Bank of America, Citigroup und JPMorgan. Zudem hat sich VW bereits für 40 % des Emissionsvolumens im Vorfeld feste Zusagen von Ankerinvestoren eingeholt. Allein der VW-Großaktionär Katar will Porsche-Vorzugsaktien für bis zu 1,88 Mrd. Euro zeichnen, der norwegische Staatsfonds sowie der US-Vermögensverwalter T. Rowe Price investieren je 750 Mio. Euro, der Staatsfonds von Abu Dhabi 300 Mio. Und auch der Rest dürfte überwiegend bei institutionellen Investoren wie Investmentfonds, Family Offices und Pensionsfonds landen.
Das Emissionsvolumen war bereits nach anderthalb Stunden überzeichnet, daher dürften die Aktien zum höchsten Preis der Bookbuilding-Spanne zugeteilt werden und die Porsche AG damit mit rund 75 Mrd. Euro bewerten. Es wird damit der größte Börsengang in Deutschland seit 25 Jahren.
Am 29. September erfolgt die erste Notierung und der Kurs dürfte eher höher als tiefer streben, trotz der aktuellen Börsenturbulenzen.
VW selbst wird mit kaum mehr als dem Wert der Porsche AG bewertet und das IPO dürfte den Blick auf diese krasse Unterbewertung legen, da VW anschließend weiterhin die Mehrheit an der Porsche AG hält. Denn 25 % der Stammaktien (plus 1 Aktie) gehen an die Porsche Automobilholding SE, die dafür den Emissionspreis zzgl. 7,5 % Aufschlag bezahlt, also 88,69 Euro. Nachdem sie über mehr als 50 % der Stimmrechte an VW verfügt, hat sie zwar auch jetzt schon – indirekt – das Sagen bei Porsche, künftig aber direkter.
VW selbst wird nach dem IPO noch fast 75 % an Porsche halten, knapp 10 Mrd. von der Porsche Holding überwiesen bekommen haben sowie rund 9,5 Mrd. aus dem IPO selbst, was ebenfalls um die 75 Mrd. Euro an Wert ergibt. Zuzüglich der übrigen Vermögenswerte, wie Audi, Skoda, SEAT, Lamborghini, Bentley, MAN, Scania usw.
49 % des Emissionserlöses soll dann nach einer außerordentlichen HV im Dezember an die VW-Aktionäre ausgeschüttet werden – und der größte Profiteur davon ist die Porsche Holding SE als Mehrheitsaktionär. Sie refinanziert damit zum Großteil den Kauf ihres 25 %-Pakets der Porsche AG-Stammaktien.
Und Ikarus? Den hatte Porsche schon kennengelernt, denn Porsche war auch mal weitgehend eigenständig und an der Börse notiert. Dann wollte Porsche aber unter seinem Chef Wendelin Wiedeking 2008 den VW-Konzern übernehmen und übernahm sich völlig. Denn VW-Chef Ferdinand Piëch, Enkel des Porsche-Gründers, drehte den Spieß um und so übernahm VW bei Porsche die Mehrheit. In der Folge verlor Porsche seine Eigenständigkeit und Wiedeking seinen Job. Klar abgestürzt.
Doch nicht tot. Denn der damalige Porsche-Aufsichtsratschef Wolfgang Porsche, ebenfalls ein Enkel des Porsche-Gründers und Cousin Ferdinand Piëchs, kann nun mit dem Börsengang einen Teil der vor 15 Jahren erlittenen Scharte wieder ausmerzen. Ferdinand Piëch wiederum war im Zuge des VW-Dieselskandals zum Rücktritt gezwungen worden und ist inzwischen verstorben. Auch Piëch hat also seinen Ikarus-Moment und –Absturz erlebt.
Welche Aktie kaufen?
VW wird vom Porsche IPO profitieren und eine Aufwertung erfahren. Danach ist in der Aktie aber weniger Wachstum und weniger Gewinn enthalten, daher dürfte sich die erste Euphorie bald legen. Die Aktie der Porsche AG wird hier künftig auch als Gradmesser und Aushängeschild wirken.
Ob man nun an dem reinrassigen Sportwagenhersteller beteiligt sein muss? Das Unternehmen bleibt aussichtsreich, auch wenn die hohen Strompreise momentan beim Autoabsatz eher abschreckend wirken dürften. Beim IPO zu zeichnen, dürfte wenig Erfolg bringen und den Kursen nach Aufnahme der Notierung hinterherzulaufen, das sollte man sich auch gut überlegen. Alle Börsengänge der letzten Jahre in Deutschland notieren im Minus. Insofern kann auch wegen der allgemein schwachen Börsenstimmung die Porsche AG-Aktie vielleicht in den nächsten Wochen günstiger als zum IPO-Preis einzusammeln sein.
Doch wer auf Nummer sicher gehen will, macht das über die Aktien der Porsche Holding SE, denn da ist künftig direkt 12,5 % der Porsche AG drin. Dank der Börsennotierung von Porsche und der von VW wird der wahre Wert, der in der Porsche Holding SE-Aktie schlummert, deutlich transparenter. Und das nährt die Hoffnung, dass der massive Buchwertabschlag sich künftig dauerhaft verringert. Gut möglich, dass hier bald dreistellige Kurse winken…
Immobiliencrash 2.0
Apropos Absturz… den erleben wir auch gerade am Immobilienmarkt. Nachdem die Preise seit mehr als 10 Jahren eigentlich nur eine Richtung kannten und in den letzten Jahren in den USA und Deutschland sogar mit zweistelligen jährlichen Steigerungsraten glänzen konnten, ist der Markt inzwischen gekippt. Die hohe und anhaltende Inflation führt zu einer harten Notenbankpolitik mit deutlichen Zinssteigerungen. Das hat erhebliche Auswirkungen auf den Immobilienmarkt, da die Zinsen von quasi null auf 3 % bis 4 % hochgeschossen sind. Wer für 500.000 USD eine Immobilie finanzieren will, muss nun also pro Jahr fast 20.000 USD an Zinsen aufbringen und eine monatliche finanzielle Zusatzbelastung von mehr als 1.500 USD können viele US-Bürger nicht stemmen. Die Folge ist eine rasant nachlassende Nachfrage nach Immobilien, was mit einiger Verzögerung zu sinkenden Immobilienpreisen geführt hat.
Dabei kommen wir von einem absoluten Rekordniveau, das erst im Frühjahr markiert wurde. Doch inzwischen befinden sich die Preise im freien Fall. Das liegt auch daran, dass bis vor einigen Monaten noch viele Neubauprojekte fertiggestellt wurden, bei denen die enorm gestiegenen Materialpreise die Kosten in die Höhe getrieben hatten. Und diese Immobilien finden nun keinen Abnehmer mehr, so dass die Bauherren- und projektierer auf den viel zu teuren Immobilien sitzen bleiben. Der ausbleibende Verkaufserlös verhindert bei diesen nun die Rückzahlung der Zwischenfinanzierung und für diese schnellen nun auch noch die Zinsen in die Höhe. Also senken die Verkäufer lieber schnell die Preise, um lieber mit einem kleinen Verlust aus der Nummer rauszukommen, als mit jedem weiteren Tag das Minus weiter anwachsen zu sehen. Und da die Zinsen weiter steigen, die Inflation weiter hoch ist, auch dank der hohen Energie- und Nahrungspreise, sinkt die Nachfrage immer weiter. Und deshalb auch die Preise. Für manchen wird das zu einer Teufelsspirale und er fühlt sich an die Immobilienkrise von vor 15 Jahren erinnert.
Aber das ist dann doch zu viel Drama. Vielmehr ist die aktuelle Situation mit einem Corona-Lockdown zu vergleichen. Denn die Notenbank würgt mit ihren starken Zinsanhebungen die Konjunktur und den Immobilienmarkt ganz bewusst ab. Die Häuserpreise sind ein großer Einflussfaktor bei der Inflationsrate, die die Notenbank bekämpfen will. Die sinkenden Immobilienpreise führen mit etwas Zeitverzögerung zu einer Entspannung bei der Inflation, die sich verlangsamende Konjunktur zu sinkender Energie- und Personalnachfrage und damit ebenfalls zu weniger Preisauftrieb. Und wenn die Inflation sich endlich signifikant und anhaltend Richtung Zielbereich 2 % aufmacht, wird die Notenbank die Hand von der Zinsschraube nehmen. Und ggf. sogar umsteuern und die Zinsen wieder senken, um der Wirtschaft wieder auf die Beine zu helfen.
Es geht also nicht um einen systemischen Zusammenbruch des Immobilienmarkts oder eine allgemeine Bankenkrise, sondern um das gewollte Abwürgen der Konjunktur. Das sind völlig andere Voraussetzungen, auch wenn sich beides für die Betroffenen ähnlich anfühlt. Es ist eben oft nur ein schmaler Grat zwischen Medizin und Gift und nicht selten hängt es von der Dosis ab. Und die Dosis steuert die Notenbank.
In den USA ist die Fed der EZB in Europa um einige (Zins-)schritte voraus, aber auch hier steigen inzwischen die Zinsen und die Immobilienpreise brechen ein - mit entsprechenden Konsequenzen.
v
Schauen wir uns also mal ein paar Leidtragende kurz an…
Loser: Opendoor
Die Abwicklung der Immobilientransaktionen erfolgt in der Regel über von beiden Seiten eingeschaltete Immobilienmakler, die dafür zwischen 5 % und 6 % des Verkaufspreises für sich vereinnahmen. Hier etabliert sich iBuying als ernsthafte Alternative. Das Prinzip ist simpel: Opendoor bietet über seine App Verkäufer ein Cash-Angebot für ihre Immobilie. Dieses Angebot wird verbindlich abgegeben und basiert auf einem speziellen Algorithmus, den Opendoors CTO Ian Wong, ein Stanford-Absolvent und Datenspezialist, entwickelt hat. Dieser greift auf öffentlich zur Verfügung stehende Daten zu und der Kunde muss nur einige wenige Angaben selbst ergänzen. Der Algorithmus berücksichtigt dabei über 100 Datenpunkte. Im Anschluss besichtigt Opendoor das Haus und überprüft, ob die Angaben der Wahrheit entsprechen. Treten hier keine Diskrepanzen auf, kann nach nur drei Tagen der Deal vollzogen werden. Opendoor verlangt eine Provision zwischen 5 % und 8 %, ist also nicht viel günstiger als die Immobilienmakler. Allerdings hat der Verkäufer die Garantie, dass er den Verkaufspreis sofort erhält. Mit der weiteren Abwicklung hat er nichts zu tun und die teilweise Nerv tötenden Besichtigungstermine beim klassischen Verkaufsprozess über einen Makler und das sich üblicherweise anschließende Gefeilsche um den Preis erspart er sich auch. Hinzu kommt die viel schnellere und einfachere Abwicklung.
Ein einträgliches Geschäft, denn Opendoor erzielte damit Bruttomargen von 13,5 %. Kein Wunder, dass die Aktie zu den absoluten Börsenhighflyern gehörte. Doch das ist vorbei. Alles davon. Denn wie sich nun immer dramatischer zeigt, ist der Algorithmus nicht viel wert – jedenfalls nicht in fallenden Immobilienmärkten. Solange die Preise weiter steigen, ist das Risiko von Fehlkäufen begrenzt. Die deutlich steigenden Zinsen rüttelten erstmals an diesem Konstrukt, denn Zinsen sind die Bepreisung des Faktors Zeit, der zuvor nichts kostete. Inzwischen fallen die Immobilienpreise rasant und Opendoor kauft zu viele Objekte ein, die es anschließend mit Verlust veräußern muss. Im August verlor Opendoor bei 42 % seiner Immobiliendeals Geld und da fing der Abschwung ja gerade erst so richtig an.
Zillow, einer der größten Wettbewerber, hatte bereits Anfang des Jahres festgestellt, dass seine KI schlechte Ergebnisse liefert und die Entwicklung der US-Immobilienpreise nicht gut genug vorhersagen konnte, um damit Geld zu verdienen. Zillow beendete damit seinen Ausflug ins Segment des iBuying, doch Opendoor kann diesem Schritt kaum folgen, da man ansonsten weitgehend ohne Geschäftsmodell dastünde. Also müsste die KI schnellstmöglich auf Vordermann gebracht werden, damit sie nur noch lukrative Angebote auswählt und lieber auf Umsatz und Abschlüsse verzichtet, zugunsten vergleichsweise sicherer Gewinne. Das wäre dann auch in fallenden Märkten ein einträgliches Geschäft, aber ob Opendoor das so schnell hinbekommt und ob das Geld reicht für die nötige Transformation? Hier sind erhebliche Zweifel angebracht!
Opendoor folgt ganz klar den Spuren von Ikarus; man ist nur noch nicht auf dem Boden aufgeschlagen. Ob aus der Bruchlandung ein Totalschaden wird, hängt maßgeblich vom Können des Managements ab, das bisher jedenfalls nicht den Eindruck macht, das Ruder herumreißen zu können. Dem entsprechend eignet sich die Aktie auch nur für Zocker.
Loser: Hypoport
Hypoport hat den Online-Immobilienkredit-Markt monopolisiert und verdient glänzend daran. Die Genossenschaftsbanken und die Sparkassen setzen breitflächig auf Europace, die Hypothekenvermittlungsplattform von Hypoport. Diesen Erfolg wollte man im Versicherungsbereich wiederholen, aber das klappt bisher nicht wirklich. Zudem streckte Hypoport seine Fühler in andere Bereiche der Wertschöpfungskette bei Immobilientransaktionen aus und finanzierte dies alles aus den munter und immer stärker sprudelnden Erlösen aus der Kreditplattform. Doch diese Quelle versiegt gerade und erschüttert damit das ganze Unternehmen.
Zu den Halbjahreszahlen hatte CEO und Großaktionär Ronald Slabke noch Optimismus verbreitet, nun erfolgte eine krasse Umsatz- und Gewinnwarnung samt Aussetzung der Jahresprognosen. Der ohnehin arg gebeutelte Kurs bricht daraufhin um weitere 40 % ein und liegt mit weniger als 90 Euro nun gut 85 % unterhalb des Allzeithochs von rund 600 Euro, das er 2021 mehrfach erreicht hatte.
Das 2. Halbjahr 2022 zeigt sich deutlich schwächer als bisher erwartet. Der Hypoport-Vorstand rechnet für das 3. Quartal 2022 mit einem Umsatz leicht unter Vorjahresniveau und einem ausgeglichenen EBIT. Klingt nicht schlecht? Tja, damit sind die Jahresprognosen meilenweit aus dem Blickfeld verschwunden. Und auch der Ausblick wirft zusätzliche Fragen auf, denn CEO Slabke formuliert: "Ob die Zurückhaltung der Verbraucher in der privaten Immobilienfinanzierung bereits im weiteren Jahresverlauf beendet sein wird", sei fraglich. Wie bitte? Der Abschwung nimmt gerade erst Fahrt auf, die EZB erhöht die Zinsen, die Inflation erreicht neue Rekordstände dank der explodierten Nahrungs- und Energiepreise – und die gewaltigen Preiserhöhungen bei den Gas- und Stromkosten kommen doch erst noch auf die Verbraucher zu, wenn sie demnächst Post von ihren Energieversorgern bekommen.
Nein, diese Formulierung enthält noch viel zu viel Optimismus und leider wenig Selbstreflexion. Nachdem CEO Slabke bisher daueroptimistisch war und ihm viele Leute aufgrund seiner langjährigen Erfolgsgeschichte immer wieder geglaubt haben, hat er dieses Vertrauen nun völlig verspielt. Bereits vor Wochen bei Vorlage der Halbjahreszahlen hätte er auf die sich abzeichnenden Entwicklungen hinweisen müssen, statt die Anleger in Sicherheit zu wiegen. Und auch jetzt noch scheint der Realitätsbezug auf Sparflamme zu kochen. Das birgt die Gefahr, dass es demnächst zu weiteren Korrekturen von zu optimistischen Prognosen kommen wird. Und das erklärt den heftigen Kurseinbruch, der überwiegend ein Vertrauensschaden ist.
Bei Ronald Slabke können wir gerade live und in Farbe erleben, wie es aussieht, wenn das Wachs schmilzt, das die Flügel zusammenhält. Der Absturz erfolgt rasant, der Boden ist noch weit entfernt, der Aufschlag steht noch aus.
Die Hypoport-Aktie war immer sehr teuer bewertet, weil sie viel Wachstumsfantasie beinhaltete. Das Geschäftsmodell ist hoch skalierbar und der Aufbau der neuen Geschäftsfelder verschlingt anfangs viel Geld. Doch die Cashcow pupst keine Dukaten mehr aus, jedenfalls nicht genug. Wie lange die Magenverstimmung anhalten wird, ist nicht abzusehen. Aber das scheint kein kurzfristiges Problem zu sein.
Hypoport könnte sein Business sofort auf Rendite trimmen, indem es das Wachstum herunterfährt. Doch das wäre kurzsichtig. Vielmehr bietet sich jetzt die Chance, in den anderen Bereichen auf Wachstum zu setzen. Das wird bei den Anlegern allerdings nicht so gut ankommen, nachdem nun Zweifel an der Profitabilität und dem Geschäftsmodell insgesamt aufgekommen sind. Und für den Aktienkurs bedeutet dies, dass die Aussicht auf eine nachhaltige Kurserholung auch erstmal trüb bleibt. Für langfristig orientierte Anleger hingegen dürften sich bald interessante Chancen bieten, denn Hypoport dominiert einen Wachstumsmarkt und bei sich wieder bessernden Aussichten wird dies auch für die Anleger irgendwann wieder maßgeblich – und kurstreibend. Aber bis dahin kann die Sonne noch einiges an Wachs schmelzen, es dürfte kein Grund zur Eile bestehen…
Mein Fazit
Börsenlegende Peter Lynch riet, sich niemals in eine Aktie zu verlieben. Doch genau das tun Anleger gern. Sie halten gerne an ihren Erfolgsaktien fest, auch wenn sich die Aussichten eintrüben. Sie filtern neue Informationen oft danach, ob sie ihre Ansicht stützen; dieser "Bestätigungsfehler" (Confirmation Bias) ist einer der teuersten an der Börse und er wird durch die Sozialen Medien enorm verstärkt. Denn bei Facebook, Twitter & Co. wählen wir unsere Informationsquellen und „Freunde“ ja gezielt aus, wir verlinken uns mit uns nahestehenden Personen, liken die Stars und Produkte bzw. Marken, die uns gefallen. Das Ergebnis ist eine Filterblase an Informationen, die uns gefallen, die unserer Persönlichkeit und unserem Meinungsspektrum ähnlich sind. Angenehm. Aber auch gefährlich, vor allem bei der Aktienanlage.
Hier sollten wir vor allem die Informationen konsumieren, die unsere Investmentthese angreifen und ggf. sogar gegen die Wand fahren lassen. Wenn sie das können, ist unsere Investmentthese nichts wert. Andersherum wird sie mit jeder Kritik und jedem Gegenargument, das wir entkräften können, stärker.
In der Hausse steigen alle Enten mit dem steigenden Pegelstand auf, in der Baisse sieht man, wer ohne Badehose schwimmen gegangen ist. Wirtschaftseinbrüche und vorübergehende Probleme setzen auch Top-Unternehmen zu; als Langfristanleger kann man das Aussitzen, solange die eigentlich überragenden Qualitäten des Unternehmens noch intakt sind. Erkennt man jedoch, dass dies nicht mehr der Fall ist, man sich über ihr Vorliegen getäuscht hat, sollte man die Konsequenzen ziehen. Schnell und endgültig.
Bei Opendoor scheint der Fall klar zu sein, bei Hypoport konnte die Qualität den hohen Kurs nicht (mehr) rechtfertigen. Entscheidung vertagt…
Disclaimer: Habe Hypoport auf meiner Beobachtungsliste und/oder in meinem Depot/Wiki.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen