Aktien Report Nr. 89 vom 20.05.2022
Elon Musk - der Twitter-Alptraum
Twitter ist fast täglich in den Schlagzeilen. Allerdings nicht nur, weil irgendetwas Interessantes getweetet wurde, sondern weil Twitter als Unternehmen "im Spiel" ist, wie es an der Wall Street heißt.Ins Spiel gebracht wurde es von Elon Musk, dem charismatischen Unternehmer, dem Visionär hinter PayPal, dem Erfolgsmenschen hinter Tesla, dem nach den Sternen greifenden Space-X-Vorantreiber – und sich selbst überschätzenden, kiffenden, regelbrechenden Egomanen.
Elon Musk ist eine Reizfigur und er vereint viele starke Charaktereigenschaften auf sich. Nicht nur gute. Und er zeigt viele von diesen bei seinem Versuch, den Kurznachrichtendienst Twitter zu übernehmen.
Der Griff nach Twitter
Mitte April reichte Elon Musk bei der US-Wertpapieraufsicht Unterlagen ein, die seine Übernahmeabsicht für Twitter offenbarten. 54,20 USD je Aktie bot Musk und damit wurde Twitter mit 41,4 Mrd. USD bewertet. Zum Zeitpunkt der Offerte war dies ein satter Aufschlag auf den Kurs von 54 %, doch das Allzeithoch der Aktie aus dem Februar 2021 lag bei 80,75 USD.Um die Ernsthaftigkeit seines Angebots zu untermauern, hatte Musk kurz zuvor mehr als 9 % der Aktien von Twitter gekauft. Und in Gesprächen mit dem Management gelang es ihm, den Kaufpreis festzuschreiben – auch wenn einige Marktteilnehmer einen höheren Preis für gerechtfertigt hielten.
Diese Festschreibung mündete in einen Übernahmevertrag, der zwischen Musk und Twitter abgeschlossen wurde. In dem 70-seitigen "AGREEMENT AND PLAN OF MERGER" wurde der Tag des Kaufes auf den 25. April 2022 datiert und dass die endgültige Übernahme von Musk am 24. Oktober 2022 vollzogen wird.
Eigentlich ist damit alles klar. Doch es gibt zwei wesentliche Passagen in dem Vertrag, die zunehmend Bedeutung erlangen. Zum einen ist in ihm geregelt, dass Musk Twitter nicht "verunglimpfen" darf. Und es ist eine Regelung enthalten, nach der eine Strafzahlung von 1 Mrd. USD fällig wird für denjenigen, der die Vereinbarung bricht.
Relevanz bekommen diese Absprachen, weil Musk inzwischen gegen Twitter und das Management schießt, "stilgerecht" am liebsten über Tweets, und weil er einseitig erklärt hat, die Übernahme "sei auf Eis gelegt". Sein (vorgeschobenes) Argument ist, Twitter weise sehr viel mehr Spam-Bots unter seinen aktiven Accounts auf als die offiziell vom Management eingeräumten 5 %.
Spam-Bots sind ein Ärgernis, ohne Frage. Doch Musks Attacke ist leicht zu durchschauen. Er behauptet, der Anteil der Spam-Bots liege bei 20 %, kann aber natürlich keine Belege dafür bringen. Das solle nun doch bitte die SEC für ihn erledigen. Gleichwohl beschuldigt er auf Basis dieser Fake-Zahl das Twitter-Management der Täuschung und sieht sie als "wichtigen Grund", der ihn zum Kündigen des Übernahmevertrags berechtige. "Durchsichtig" ist sein Manöver, weil er bereits kundgetan hat, dass sein Ziel ist, den Kaufpreis zu drücken.
Erneuter Kurseinbruch
Nach Musks-Übernahmeofferte stieg der Twitter-Kurs deutlich an und hielt sich um die Marke von 50 USD herum. Ein gewisses Maß an Skepsis zeigte die Börse also von Anfang an. Doch richtete sich dieses zuvorderst gegen Musks Fähigkeiten, den Deal finanzieren zu können. Er ist zwar (immer mal wieder, je nach Kurs der Tesla-Aktien) der reichste Mensch der Welt, aber sein Vermögen steckt in seinen Unternehmen, vor allem in Tesla-Anteilen.Dank seines Rückziehers bzgl. der Übernahmeofferte stürzte der Aktienkurs wieder kräftig ab Richtung 35 USD. Die Aktionäre, die auf Musk gesetzt haben, sind also die Dummen, denn sie haben einen Kursverlust von 30 % zu verkraften. Und wenn es nach Musk geht, sollen sie auf ihren Verlusten auch sitzenbleiben, denn er will Twitter ja möglichst billig schlucken.
Twitter kämpft
Kampflos ergibt sich das Twitter-Management allerdings nicht. Es beharrt vielmehr auf Einhaltung des Übernahmevertrags und dem vollen Kaufpreis.Zu diesem Zweck hat man nun ein sogenanntes Proxy Statement veröffentlicht. Ein solches Formular müssen börsennotierte Unternehmen veröffentlichen, wenn sie ihre Aktionäre über einen Sachverhalt abstimmen lassen wollen.
Hier geht es nun darum, dass die Aktionäre abstimmen sollen, ob sie der Übernahme von Twitter durch Elon Musk zu einem Preis von 54,20 USD zustimmen. Das können sie vorab schriftlich machen oder direkt bei der Aktionärsversammlung, die für den 25. Mai terminiert worden ist.*)
*) Die Twitter-Übernahme durch Musk war entgegen der Erwartungen letztlich dann doch kein Thema bei der Hauptversammlung; Firmenchef Parag Agrawal verwies auf "regulatorische Gründe" dafür, dass er sich nicht zu dem Deal äußern könne. Es bleibt spannend...
Twitter hat dabei einen weiteren Trumpf im Ärmel: der Übernahmevertrag enthält eine sogenannte Specific Performance-Klausel. Diese Klausel bekommt bei einer gerichtlichen Auseinandersetzung Bedeutung. Denn auf ihrer Basis kann das Gericht eine der beiden Vertragsparteien zur "specific performance" verurteilen, also zur wortgetreuen Erfüllung des Vertrages. Dazu entschließt sich das Gericht zumeist, wenn Schadensersatz nicht ausreichend erscheint.
Ohne ins Juristische abdriften zu wollen, kann man feststellen, dass diese Klausel Musk viel stärker an die Kandare nimmt, als die "Termination Fee" von 1 Mrd. USD, die er bei einem geschätzten Vermögen von 270 Mrd. USD wohl aus der Portokasse zahlen könnte.
In den Schlagzeilen
Twitter ist durch den öffentlich ausgetragenen Streit permanent in den Schlagzeilen. Auf Twitter selbst, denn Musk versorgt seine mehr als 80 Mio. Follower ständig mit neuen geistigen Ergüssen. Und natürlich auch in allen anderen Medien, die darüber berichten.Dabei kommt Twitter, ebenso wie Musk, nicht überall gut weg. Marketing-Experten behaupten aber gerne, auch schlechte Publicity sei gute Werbung. Zumindest ist man im Gespräch und damit interessant.
Interessant sind auch einige Anregungen bzw. Problemstellungen, die Musk bereits angesprochen hat. Die vielen Spam-Bots sind das eine. Das zweite ist die mangelhafte Monetarisierung des Dienstes, der mit so vielen Nutzern viel zu wenig Geld verdient. Bezahlte Tweets für Unternehmen sind eine Möglichkeit, eine andere, Twitter zu einer Art Super-App auszubauen, wie es WeChat ist.
Ein weiteres Thema ist die Redefreiheit im Widerstreit mit der Einschränkung von Hasskommentaren und Fakenews. Musk will die "absolut freie Rede" durchsetzen, die Regierungen und Behörden wollen Falschnachrichten und Aufrufe zu Mord und Totschlag und/oder Gewalt sowie Mobbing aus den sozialen Medien verbannen. Beide Sichtweisen haben gute Argumente auf ihrer Seite und keine Seite kann sich völlig durchsetzen. Weil elementare Grund- und Menschenrechte aufeinanderprallen. So wie schon bei der Verfassung, wo es zu Grundrechtskollisionen kommt. So schränkt unser Strafgesetzbuch die - eigentlich garantierte - Meinungsfreiheit ein, weil man nicht einfach jeden beleidigen darf, der einem vor die Nase kommt. Andererseits schützt Art. 1 des Grundgesetzes die Würde des Menschen und die wird zweifelsfrei durch eine Beleidigung verletzt. Twitter, Facebook und Co. sind letztlich nur eine Art virtuelles Abbild unseres Lebens und daher mit gleichen Problemstellungen behaftet. Und die sind selten mit Schwarz oder Weiß zu lösen, sofern man nicht diktatorisch durchregieren will. Was dem Streben nach freier Rede und freier Entfaltung der Persönlichkeit ja kolossal zuwiderlaufen würde.
Tja, auch hier sind noch nicht alle Messen gelesen und es wird noch ordentlich Weihrauch verspritzt werden müssen, bis der Teufel ausgetrieben ist – nicht nur aus den Details, wo er sich so gerne versteckt.
Mein Fazit
Uns normalen Twitter-Nutzern und den Twitter-Aktionären bleibt nur die Rolle des Zuschauers. Klar ist nur schon jetzt, dass die Anwälte richtig fett an dem Streit verdienen werden. Wer deren Rechnung am Ende bezahlen muss, steht auch schon fest: die Twitter-Aktionäre. Unterliegt Twitter, dürfte der Kurs weiter abstützen oder ein niedrigeres Kaufangebot von Musk auf den Tisch kommen.Gewinnt Twitter den Streit, wird sich Musk auf die Ausstiegsklausel berufen und die 1 Mrd. USD an Strafe zahlen wollen. Auch dann dürfte der Twitter-Kurs unter Druck bleiben.
Und sollte Twitter dies nicht akzeptieren, wird auch dieses Vorgehen von Musk vor Gericht landen und ordentlich Zeit in Anspruch nehmen. Und es steht zu befürchten, dass beide Seiten weiter öffentlich übereinander herziehen und Twitter damit immer stärker schlecht wegkommt, weil es immer wieder um seine Problemzonen gehen wird und viel weniger um die Frage, wie man Twitter im Sinne des Unternehmens und der Aktionäre sinnvoll weiterentwickeln kann. Mit dem Risiko, dass Twitter in dieser Phase zunehmend fähige Leute verliert, die lieber bei anderen, aussichtsreicheren Arbeitgebern anheuern und damit Twitters Fähigkeit sinkt, technologisch und innovatorisch im Wettbewerb mithalten zu können.
Wie die Geschichte letztlich ausgeht, werden wir erst erfahren, wenn sie vollständig erzählt ist. (Zu) viele Interessen laufen gegeneinander und die Nutzer, vor allem aber die Aktionäre sitzen zwischen allen Stühlen. Der Kampf zwischen Elon Musk und seinen Verbündeten bzw. Anhängern gegen das Management und andere Anteilseigner wird schmutziger und persönlicher. Eine Seite wird sich durchsetzen, oder es kommt zu einem faulen Kompromiss. So oder so steht ganz am Ende dann die Frage, ob sich Sache gelohnt hat. Und vor allem: für wen?
Disclaimer: Habe Tesla auf meiner Beobachtungsliste und/oder in meinem Depot/Wiki.
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