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Samstag, 13. November 2021

Genworth Financial: Deshalb ist mir dieser gestrauchelte Versicherungskonzern eine (zweite) Turnaround-Spekulation wert

Der Versicherungskonzern Genworth Financial ist für die Leser meines Blogs kein unbekannter. Anfang 2016 hatte ich den abgestürzten Wert erstmals als Turnaround-Spekulation vorgestellt und konnte auch schnell Erfolge einstreichen: der Kurs verdreifachte sich vom Tief bei $1,72 in etwa. Dann kam die Übernahmeofferte durch China Oceanwide, die nur marginal über dem damals aktuellen Kurs von gut $5 lag. Es schloss sich eine wahre Übernahmeposse an mit beinahe 20 (!) Verlängerungen der Deadline. Das Ganze zog sich aufgrund genehmigungsrechtlicher Schwierigkeiten über mehr als drei Jahre hin und endete jämmerlich. und genau hierin liegt die (neue) Chance...

Blicken wir zuerst nochmal kurz zurück in die Vergangenheit des Unternehmens: Genworth Financial Inc. war früher einmal die Versicherungssparte von General Electric, die dieser dann aber Mitte 2004 als separates Unternehmen an die Börse brachte. Von den anfangs rund $20 entwickelte sich der Aktienkurs innerhalb von nur drei Jahren bis auf $37, doch dann nahm die Finanzkrise ihren Lauf und seit dem Frühjahr 2007 ging es nur noch abwärts; das Tief lag Anfang 2009 bei $084. Die Erholung ging beinahe genauso schnell und Anfang 2010 erreichte der Aktienkurs zumindest wieder $19, bevor es zu einem erneuten deutlichen Rückgang kam. Die meiste Zeit des Jahres 2012 versuchte der Kurs, nicht unter die "magische" Linie von $5 zu fallen. Die neuerliche Erholungsrallye führte den Kurs bis Mitte 2014 erneut an die $19-Marke heran, doch von da an folgte der nächste starke Absturz, der die Aktie dann Anfang 2016 auf dem Höhepunkt der damaligen kurzen Ölpreiskrise unter $2 fallen ließ.

Doch die Aktie ist nicht nur einfach sehr volatil, sondern das zugrundeliegende Geschäft ist extrem krisengebeutelt. Es geht um Rentenversicherungen und Pflegeversicherungen. Die Finanzkrise hat in den Bilanzen der Versicherer schwere Blessuren hinterlassen, die durch die stetig sinkenden Zinsen noch verschärft wurden. Dabei lebten die Menschen immer länger und das führte zu der ungesunden Entwicklung, dass die erzielten Einnahmen aus den Versicherungsprämien (der von Warren Buffett so geliebte "Float") sanken, während die Ausgaben stiegen. Der dazwischenliegende Gewinn schmolz dahin wie ein Schneemann in der Wüste.

Allerdings hatte Genworth Financial auch einiges auf der Habenseite zu verbuchen. Vor allem seine Beteiligungen an seinen Hypothekentöchtern in den USA, Australien und Kanada. Anfang 2016 lag der Buchwert je Genworth-Aktie bei rund $30, während der Kurs auf $2 Dollar abgestürzt war. Zwischen "Value Trap" und "Bargain" entschied ich mich für letzteres und stieg ein.

Der Übernahme-Versuch

Der Kursabsturz war eine Überreaktion des Marktes und der Kurs erholte sich schnell. Dann kam die Übernahmeofferte durch China Oceanwide, die vom GNW-Vorstand unterstützt wurde. Oceanwide  wollte nicht nur in den USA Fuß fassen, sondern auch das Knowhow der Amerikaner für seine eigene Expansion in China nutzen, wo die Altersversorgung noch immer überwiegend die eines Entwicklungslandes ist: viele Kinder füttern die Älteren am Lebensabend durch.

Es bedurfte vieler behördlicher Genehmigungen in diversen Staaten und am Ende scheiterte der Deal wohl an den Bedenken auf US-Seite hinsichtlich des Datenschutzes der betroffenen US-Bürger. Ein Thema, das ja überall auf der Welt zuletzt immer stärkerer Relevanz bekommt.

Die mehrjährige Hängepartie während des Übernahmeprozesses verlief aber nicht ereignislos. 

Fehler in der Matrix Formel

Zunächst stellte Genworth irgendwann fest, dass man einen folgenschweren Fehler in seine Versicherungsformel eingebaut hatte und dadurch den Versicherten zu hohe Ablaufleistungen versprochen hatte. Mit anderen Worten: man hat jahrelang Versicherungen verkauft, deren Prämien von Anfang an nicht auskömmlich waren. Dieser Fehler gesellte sich zu der ohnehin aufkommenden Problematik der niedrigeren Zinsergebnisse und sich erhöhenden Lebenszeiten der Versicherten hinzu.

Genworth musste in den sauren Apfel beißen und entsprechende Wertberichtigungen/ Abschreibungen vornehmen. Das war teuer und nicht ganz unproblematisch, da die Liquiditätslage durchaus angespannt war. Des Weiteren war Genworth hoch verschuldet und musste regelmäßig neue Finanzierungen (Kredite und Anleihen) einsammeln, was angesichts der Geschäftszahlen, der hängenden Übernahme und der Fehlkalkulation immer schwieriger wurde (und teurer). In dieser Phase kam Oceanwide Genworth zu Hilfe und übernahm die Finanzierung, quasi als "vorweggenommene Konzerninnenfinanzierung".

Verkauf des Tafelsilbers

Des Weiteren gab es regulatorische Hürden im Ausland, und als Teil der Auflagen begann GNW damit, seine Hypothekentöchter zu veräußern. Damit reduzierte man die behördlichen Bedenken (in Kanada) und hob stille Reserven in der Bilanz. Von der Hypothekentochter in Australien hat GNW im Februar seine restlichen Anteile veräußert.

Übernahme platzt

Im April 2021 gab Genworth Financial dann bekannt, dass es von seinem Recht Gebrauch gemacht hat, die Fusionsvereinbarung mit China Oceanwide Holdings Group Co., Ltd. (Oceanwide) mit Wirkung zum 6. April 2021 zu kündigen. Damit wird Genworth künftig wieder alleine am Markt agieren und hat seine strategische Ausrichtung überarbeitet.

Ein Teil der Strategie ist, einen Teil seines US-Hypothekenversicherungsgeschäfts an die Börse zu bringen - das ist unter dem Namen "Enact Holdings" (ACT) inzwischen geschehen. Der IPO-Preis lag bei $19, die Börsennotiz startete Mitte September bei $20,50 und der Kurs liegt aktuell um die $22. GNW hält nun noch 81,6% an Enact im Wert von $3,08 Mrd.

Genworth und Oceanwide haben sich im Guten getrennt und loten gemeinsam aus, wie beide in Zukunft Pflegeversicherungen und andere ähnliche Versicherungslösungen für die alternde Bevölkerung in China auf den Markt bringen können.

Die neue alte Turnaround-Spekulation

Genworth Financial muss seine Verschuldung weiter senken, um seine Bilanz zu stärken. Die Verkäufe der Hypothekentöchter spülen ordentlich Geld in die Kasse, was genau hierfür verwendet wird. Die Anstehenden Um- und Anschlussfinanzierungen in 2021 und 2022 können hierdurch vollauf abgedeckt werden (fall sich niemand mehr finden sollte, der GNW Geld leiht, was ziemlich ausgeschlossen ist). Des Weiteren erwartet GNW noch eine Dividendenzahlung von Enact, die Teil der IPO-Transaktion war, so dass um die $200 Mio. im vierten Quartal eintrudeln werden.

Genworth Financial ist schwierig zu bewerten, da es zwar eine Holding ist, aber abgesehen von Enact die übrigen Aktivitäten nicht in separaten Gesellschaften operieren. Daher ist völlig verständlich dass dies zu Wertabschlägen führt gegenüber "transparenteren" Versicherungsunternehmen.

Bewertung

GNWs Anteil von 81,6% an Enact wird von der Börse mit $3,08 Mrd. bepreist. Genworth Financial selbst mit $2,2 Mrd. also nur rund 71,5% des Wertes seiner Beteiligung an der Tochter. Neben diesem Abschlag wird also das komplette Lebensversicherungsgeschäft von GNW vom Markt mit weniger als Null bewertet! Und das wäre wiederum nur gerechtfertigt, wenn eine unabwendbare Pleite unmittelbar bevorstehen würde. Aber das ist ganz offensichtlich nicht der Fall.


Meine Einschätzung

Ich denke, der GNW-Aktienkurs leidet noch unter seiner "schlechten Presse" der Vorjahre, der jahrelangen Hängepartei und unter der vermasselten Übernahme durch China Oceanwide. Eine Neujustierung ist bisher ausgeblieben und wird früher oder später erfolgen.

Quelle: wallstreet-online
Die Menschen werden immer älter und müssen privat fürs Alter vorsorgen. Auch mittels Lebens- und Pflegeversicherungen. Der Markt für GNW wächst also. Die US-Hypothekentochter Enact liefert gute Zahlen ab und der US-Hypothekenmarkt befindet sich weiter im Aufschwung. Steigende Zinsen helfen beiden Unternehmen.

Darüber hinaus drängen viele private Equity-Firmen bzw. Alternative Asset Manager in den Markt und kaufen Versicherungsunternehmen auf. So geschehen durch Blackstone und KKR (Global Atlantic) und auch Apollo Global Management übernimmt seine frühere Tochter Athene Holdings. Die Rentenversicherer sind "im Spiel" und GNW könnte ebenfalls auf ihrem Radar landen. Wenngleich das Unternehmen relativ klein ist in einem noch sehr zersplitterten Rentenmarkt in den USA. Dessen Marktführer könnten ebenfalls auf Expansionskurs steuern, um ihre eigene Selbständigkeit nicht zu verlieren.

Beachtliche Risiken

Alte Policen sind oft nicht auskömmlich prämienfinanziert, weil die Zinsfaktoren zu hoch und die Lebenserwartung zu niedrig kalkuliert wurde. Im Hypotheken- und Versicherungsmarkt wächst die Konkurrenz vor allem durch viele aufstrebende Fintechs, das macht das Geschäft für Alteingesessene schwieriger. Diese werden sich anpassen und ggf. auf Kooperationen einlassen müssen. Oder sie werden zu Übernahmezielen (die Bereitschaft, sich übernehmen zu lassen, hat GNW ja hinlänglich beweisen).

Unterm Strich erscheint mir die GNW-Aktie deutlich unterbewertet zu sein und der Markt wird über kurz oder lang eine Neubewertung vornehmen. Ich bin deshalb Anfang September - erneut - eingestiegen, um meiner Turnaround-Spekulation mit fünf Jahren Zeitverzug eine zweite Chance zu geben.

Disclaimer: Habe General Electric, Genworth Financial auf meiner Beobachtungsliste und/oder in meinem Depot/Wiki.

1 Kommentar:

  1. Das ist mal ein richtiger Gorden Gecko Kauf von Ihnen ;-). Bei Finanzwerten kenne ich mich nicht wirklich aus und bleibe bei sowas lieber draußen. Aber interessant zu lesen ist das allemal. Danke.

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