Aktien Report Nr. 61 vom 23.09.2021
Adidas, Linde, RWE - Keine Angst vor den DAX-Aufsteigern!
In Deutschland ist der DAX die oberste Börsenliga, in ihm ist das Who-is-who der börsennotierten Aktiengesellschaften versammelt. Dem entsprechend erfährt der DAX in der internationalen Medienwelt die größte Aufmerksamkeit und wird oft mit der gesamten deutschen Wirtschaft gleichgesetzt.Damit tut man ihm Unrecht, denn die Family Businesses der reichsten Unternehmer Deutschlands sind gar nicht börsennotiert: Aldi (Familie Albrecht), Lidl (Familie Schwarz), Bosch, Oetker, Quandt, die Reimanns, um nur einige zu nennen.
Darüber hinaus sind das Rückgrat der deutschen Wirtschaft und ihr Erfolgsgarant nicht die großen Konzerne, sondern der Mittelstand, also die kleinen und mittleren Betriebe (KMU). Sie stellen den Großteil der Arbeitsplätze, sie sind oft in ihren Nischen Weltmarktführer und damit Hidden Champions. Sie sind kleiner, agiler, wachstumsstärker als die großen, bisweilen behäbigen Konzerne. Und wenn sie an der Börse notiert sind, findet man sie eher in SDAX, MDAX und im TecDAX als im DAX. Das gilt umso mehr, als der DAX gerade um die schwersten 10 MDAX-Titel zum DAX40 aufgestockt wurde. Deutlicher macht die Verschiebung ein anderes Zahlenspiel: die zehn DAX-Neulinge bringen in diesem gerade mal 15 Prozent Gewichtung ein, während der MDAX durch ihren Aufstieg beinahe 50 Prozent an Gewicht (und Bedeutung) verloren hat.
Blickt man auf die DAX-Mitglieder, dann findet man dort nur wenige Wachstumswerte. Auch das soll die Reform der DAX-Familie ändern. Neue, junge Branchen sind nun vertreten und dynamisch wachsende Unternehmen, wie Zalando, HelloFresh, Siemens Healthineers, Qiagen, Symrise und Sartorius treffen dort auf SAP und Delivery Hero.
Dieses Wechselspiel richtet den Fokus aber auch wieder auf eine altbekannte, aber dennoch oft vergessene, Erkenntnis: wer in den DAX aufsteigt, hat meistens zuvor in SDAX und MDAX für starkes Wachstum gesorgt und dort die Anleger glücklich gemacht. Der Umkehrschluss, dass mit dem DAX-Aufstieg die Phase des rasanten Wachstums zu Ende gegangen ist, trifft oft, aber eben nicht immer zu. Es lohnt sich, genauer hinzusehen und nicht alle DAX-Werte über einen Kamm zu scheren. Nicht nur die neuen DAX-Mitglieder bergen interessante Perlen, auch unter den etablierten Werten finden sich vielversprechende Unternehmen mit dem Potenzial für außergewöhnliche Kursentwicklungen.
Adidas
Die Marke mit den drei Streifen ist weltbekannt. Gegründet wurde sie bereits 1920 von Adolf und Rudolf Dassler, doch ihren Firmennamen bekam sie erst 1949, als sich die beiden Brüder zerstritten und getrennte Wege gingen. Adolf (genannt Adi) führte seitdem Adidas, Rudolf den von ihm gegründeten Wettbewerber Puma. Beide Firmen gelangten zu Weltruhm und sind bis heute Konkurrenten.Unvergessen ist Adidas als Wegbereiter des „Wunder von Bern“, als Deutschland 1954 erstmals Fußballweltmeister wurde, was maßgeblich an den Schuhen gelegen haben soll, glaubt man dem entsprechenden dokumentarisch angehauchten Fernsehfilm.
Adidas stieg in der Folge zur Weltmacht im Sport auf und konnte sich lange an der Spitze halten. Dann wendete sich das Glück und man verlor zunehmend Marktanteile, bis man die Marktführerschaft an den amerikanischen Wettbewerber Nike abgeben musste. Damit wollte sich Adidas nicht zufrieden geben und übernahm 2006 Reebok, doch man bekam die neue US-Tochter nie richtig ins Laufen. So gab Adidas kürzlich bekannt, Reebok für bis zu 2,1 Milliarden Dollar an die New Yorker Beteiligungsfirma Authentic Brands zu verkaufen.
Verantwortlich für diesen Strategieschwenk ist Kasper Rorsted, seit Oktober 2016 CEO von Adidas. Zuvor war der Däne in gleicher Position beim deutschen Chemiegiganten Henkel aktiv. Zu unrühmlicher Bekanntheit kam Rorsted im Frühjahr 2020, als er zu Beginn der Coronakrise erklärte, vom neuen Mietenmoratorium der Bundesregierung Gebrauch zu machen, so dass Adidas vorübergehend keine Pachten mehr für seine Ladenlokale an die Vermieter überweisen wollte. Die Folge war ein enormer Shitstorm, der vor allem Adidas traf. Es gab eine Welle größter Entrüstung über diesen beispiellosen Akt der Unsolidarität angesichts einer nationalen und weltweiten Krisensituation von einem Unternehmen, das seit Jahren von Rekordergebnis zu Rekordergebnis eilt. Der öffentliche Druck und die vielen Boykottaufrufe zeigten Wirkung und Rorsted vollführte eine Rolle rückwärts: Adidas zahlte umgehend seine ausstehenden Mieten.
Rorsteds Einlenken war richtig und wichtig, denn der Markenstatus ist das größte Pfund, mit dem Adidas wuchern kann. Als angesagte Kultmarke mit eingeschworener Fangemeinde ist man in der attraktiven Lage, weniger auf andere angewiesen zu sein. Während die Ladenlokale in der Coronazeit schließen mussten und der Lockdown die Wirtschaft lahmlegte, blühten die Onlineshops auf. Auch Adidas war stark gefragt, hätte sich darauf ausruhen können, doch Rorsted vollzog eine weitere strategische Wende. Anstelle von Amazon, Ebay und Zalando setzt Adidas auf den eigenen Webshop. "Direct-to Consumer" (D2C) nennt sich diese Methode und neben Adidas gehen auch Nike und Puma sowie viele weitere etablierte Markenhersteller diesen Vertriebsweg.
Adidas verlor damit viele Gelegenheitskäufer, die auf den Online-Portalen nach Sportschuhen oder –kleidung suchten und keine Adidas-Produkte mehr angezeigt bekamen. Aber man setzte auf seine starke Markt- und Markenstellung und dass die Kunden gezielt Adidas-Produkte kaufen wollen. Mit Erfolg.
Adidas kann mit dem D2C-Modell gleich mehrere Vorteile für sich verbuchen. Man kann den Kunden im eigenen Webshop individuell gestaltete Produkte anbieten und mit ihm interagieren. Und wenn der Kunde erstmal auf der Website ist, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass er sich auch noch nach anderen Adidas-Produkten umsieht. Insofern spart sich Adidas beim Direktverkauf die Handelsmarge des Onlinehops ein und dies dürfte die möglichen ausfallenden Verkäufe der Gelegenheitskäufer aufwiegen.
Des Weiteren umgeht Adidas durch den D2C-Verkauf das Problem der Plagiate. Auf Amazon, Ebay und all den anderen Plattformen bieten eine Vielzahl von Händlern Waren an. Leider ist ein nicht gerade kleiner Teil davon gefälschte Ware und das beschädigt nicht nur das Ansehen der Plattform, sondern nagt auch am Markenimage des Herstellers. Denn ein Käufer kann nicht unbedingt zwischen original und Plagiat unterscheiden. Wenn er aber viel Geld für ein Adidas-Markenprodukt ausgegeben hat und dieses dann in Sachen Qualität wenig hält, dann richtet sich der Zorn des Kunden gegen Adidas.
Je mehr Adidas den Verkauf also selbst in der Hand hat, desto geringer ist das Risiko, dass Kunden Fälschungen angedreht werden. Für Adidas bietet dies den weiteren Vorteil, dass der Verkauf von gefälschten Produkten dem Unternehmen natürlich nichts einbringt und ihn sogar einen Kunden kostet, der ansonsten das Original gekauft hätte.
D2C steht nur großen Marken mit starkem Markenstatus und entsprechend loyalen Kunden zur Verfügung. Wer diese nicht hat, kann kaum ausschließlich auf seinen eigenen Webshop setzen. Denn der Aufwand für Marketing ist enorm, um die Kunden immer wieder auf die Seite zu locken. Adidas hingegen setzt aufs Image, auf Influencer, auf Marketing und Sportgroßveranstaltungen. Das Ende von Corona dürfte sowohl die Umsätze in den Ladenlokalen als auch die Nachfrage aufgrund sportlicher Großereignisse wieder zum Leben erwecken, während der Onlineverkauf stark bleiben dürfte.
Mit 56 Prozent Anteil erzielt Adidas den Großteil seiner Umsätze mit Sportschuhen. Weitere 39 Prozent steuert Sportbekleidung bei und 5 Prozent Equipment, vor allem aus dem Golfsektor. Regional erzielt Adidas 34 Prozent im Raum Asien-Pazifik, 28 Prozent in Europa und 25 Prozent in Nordamerika.
Die Wachstumsaussichten der Sportartikel- und bekleidungsbranche liegen bei rund drei Prozent pro Jahr. Allerdings hat Corona dazu geführt, dass die Menschen häufiger Sportkleidung tragen und das nicht nur zuhause. Der Trend, im Alltag Sportkleidung zu tragen, nennt sich "Athleisure" und hierbei profitieren vor allem die Lifestyle-Marken wie Adidas und Nike. Insofern sollte Adidas überdurchschnittliches Wachstum verzeichnen und dabei auch seine Margen ausweiten können. Insbesondere, weil man rund 80 Prozent des Wachstums über den Direktvertrieb erzielen will und dabei natürlich die Händlermarge einspart.
Der Aktienkurs hat sich in den letzten fünf Jahren in etwa verdoppelt, in den letzten zehn Jahren stieg der Kurs sogar auf mehr als das Sechsfache. Zuletzt scheiterte der Ausbruchsversuch über die 300-Euro-Marke, doch bei einem nachhaltigen erfolgreichen Ausbruch steht Adidas der Himmel offen.
Linde PLC
Linde ist ein börsennotierter Industriekonzern und Weltmarktführer bei Industriegasen. Der 1879 von Carl von Linde gegründete Konzern hatte eine US-Tochter, die allerdings während des 1. Weltkriegs enteignet wurde und deren Kerngeschäft später unter Praxair agierte. 2018 kam es zur Fusion von Linde und Praxair und man verständigte sich darauf, den Sitz des Unternehmens im irischen Dublin anzusiedeln. Seitdem firmiert Linde als Linde PLC. Dennoch ist man weiterhin im deutschen Auswahlindex DAX vertreten, da Linde einen erheblichen Anteil seines Geschäfts in Deutschland erzielt.Den Großteil der Umsatzes, nämlich 83 Prozent, erzielt Linde mit der Produktion und dem Verkauf von Industriegasen. Dieser Geschäftsbereich trägt rund 83% zum Gesamtumsatz bei. Industriegase von Linde kommen in zahlreichen Bereichen zum Einsatz, wie lebensrettender Sauerstoff für Krankenhäuser oder spezielle Gase für die Elektronikfertigung. Linde liefert zudem Gasaufbereitungslösungen, um Kundenerweiterungen, Effizienzverbesserungen und Emissionsminderungen zu unterstützen. Das Segment Oberflächentechnik steuert zehn Prozent des Umsatzes bei und andere Aktivitäten sieben.
Linde ist damit ein konjunktursensibles Unternehmen. Zuletzt ergab sich zusätzliche Fantasie aus dem noch jungen Geschäftsfeld Wasserstoff, da dieses für saubere Kraftstoffe an Bedeutung gewinnt. Für Linde als Lieferant des Basisrohstoffs ist dabei weniger entscheidend, welcher Anbieter sich durchsetzt, sondern dass die Technologie als Ganzes Marktanteile gewinnt.
Das hohe Interesse Lindes an diesem Thema zeigt auch die Beteiligung von 17,3 Prozent am Wasserstoffunternehmen ITM Power PLC. Zusammen mit ITM baut man derzeit eine riesige Elektrolyseanlage in Leuna, die ab 2022 bis zu 3200 Tonnen grünen Wasserstoff erzeugen soll.
Linde wächst zwischen fünf und elf Prozent pro Jahr, je nach Stand des Konjunkturzyklus. Der Verschuldungsgrad mit dem 1,7-fachen des operativen Gewinns ist nicht zu hoch, zumal Linde sein operatives Ergebnis schneller steigert als seinen Umsatz. Die EBIT-Marge konnte so auf 22 Prozent hochgeschraubt werden.
Dies zeugt von Preissetzungsmacht und erklärt sich aus der hervorragenden Marktstellung Lindes. Daneben gibt es mit der französischen Air Liquide nur einen Wettbewerber auf Augenhöhe, so dass ein scharfer Preiswettbewerb kaum zu befürchten ist. Um dem moderaten Wachstum zusätzliche Impulse zu verschaffen, könnte Linde auf Einkaufstour gehen und in aussichtsreichen Sektoren zukaufen. Die Beteiligung an ITM könnte hier Maßstäbe setzen. Obwohl Linde nur eine Eigenkapitalquote von rund 10 Prozent aufweist, liegt die Nettoverschuldung im akzeptablen Rahmen und die Kriegskasse ist prall gefüllt. Nachdem sich im Wasserstoffsektor der Hype etwas gelegt hat, könnten hier interessante Beteiligungsmöglichkeiten schlummern.
Auf der anderen Seite sollte Linde als Zykliker nicht zu spät zukaufen und am Ende eines Konjunkturzyklus zu Höchstpreisen zuschlagen. In der Vergangenheit hat man hier allerdings eher klug agiert und sich bisweilen auch von nicht mehr zum Kerngeschäft gehörenden Randbereichen getrennt – wie seinerzeit vom Bereich Gabelstapler, der heute Kern der KION Group ist.
Seit dem "Merger under Equals" mit Praxair vor drei Jahren hat sich der Aktienkurs knapp verdoppelt. Die jüngsten Konjunkturprognosen sehen den Zuwachs in 2021 wegen der vierten Coronawelle und der Störung der weltweiten Lieferketten sowie der hohen Preissteigerungen bei Halbleitern und Vorprodukten schwächer als noch vor einigen Monaten, dafür wird für 2022 nun ein deutlich höheres Wachstumstempo in Europa und in den USA angenommen. Für Linde und seinen Aktienkurs sind das erfreuliche Aussichten.
RWE
Als ich vor 33 Jahren meine ersten Gehversuche an der Börse unternahm, prägten mit VEBA, VIAG und RWE gleich drei große Energiekonzerne den DAX. Einige Jahre später fusionierten VEBA und VIAG dann zu Eon.Die Versorger galten als Witwen- und Waisenpapiere, denn ihr Geschäft war stabil, die Dividendenrenditen üppig. Alle drei bzw. später zwei Unternehmen waren aus der Fusion kommunaler Stadtwerke hervorgegangen und das in einem abgeschotteten Markt. Die Liberalisierung des Energiemarkts setzte erst unter der Schröder-Regierung ein und damit wurde die "heile Welt" der deutschen Energieversorger endgültig zerstört. Und ihr Status als Witwen- und Waisenpapier. Denn jahrzehntelange Monopolwirtschaft hatten die Energiemultis – Überraschung! - in keinster Weise auf den harten marktwirtschaftlichen Wettbewerb vorbereitet.
Sie sahen sich zunehmend mit aggressiven Wettbewerbern konfrontiert, die in ihren Markt eindrangen und viel schlanker und effizienter agierten. Und damit enorme Kostenvorteile auf ihrer Seite hatten. Die Liberalisierung schuf eine Regulierungsbehörde, die BundesNetzAgentur (BNetzA) und diese überwachte u.a. die strikte Trennung von Netz und Vertrieb (sog. "Unbundling"). Fortan durften Gewinne und Verluste aus der einen Sparte nicht mehr mit denen aus der anderen verrechnet werden. Und, viel schlimmer noch, auch die Kundendaten und Informationen über sie durften nicht mehr ausgetauscht werden. Was die Rückgewinnung von abwanderungswilligen Kunden erheblich erschwerte.
Wie so oft kommt noch Pech hinzu, wenn man kein Glück hat. Im Vorfeld der Finanzkrise 2008/09 waren die Energiepreise auf Rekordstände geklettert und der Ölpreis markierte in der Spitze einen Preis von 150 Dollar je Barrel. Die meisten Gaslieferverträge zwischen den Energieversorgern und Russland, dem Gasproduzenten, liefen über drei oder fünf Jahren und waren an den Ölpreis gekoppelt. Daher explodierten die Heizkosten und die Kunden suchten sich neue Lieferanten, denn diese konnten das Gas ohne Ölpreisbindung viel günstiger am Markt einkaufen und daher die etablierten Gasanbieter deutlich unterbieten.
Bei denen prallten sehr teure und ineffiziente Kostenstrukturen auf stark sinkende Gewinne. Keine schöne Entwicklung. Vor allem angesichts der Tatsache, dass ein Großteil der Aktionäre von Eon und RWE Kommunen waren, die auf die üppigen Dividenden angewiesen waren, um damit die Löcher in ihren eigenen maroden Haushalte zu stopfen.
Deutschland hat, abgesehen von Holz und Wind, keinen Energieträger. Außer Kohle natürlich. Im Westen dominiert die Steinkohle, im Osten die Braunkohle. Daher war Deutschland mit Kohlekraftwerken zugepflastert und mit modernen Atomkraftwerken. Doch die heimische Kohle war viel zu teuer geworden in der Produktion und unter der rot-grünen Bundesregierung hatte man sich auf dem Atomausstieg festgelegt. Das sollte sich 2005 unter Angela Merkel ändern, doch ihr fuhr der Tsunami in Asien in die Parade in dessen Folge das AKW in Fukushima kollabierte. Es folgte die Rolle rückwärts von der Rolle rückwärts und aus dem Zurückdrehen des Atomausstiegs wurde kurzerhand ein noch schnellerer Atomausstieg.
Man kann diese Entwicklungen am Aktienkurs von Eon und RWE ablesen. Beide sind in einer Branche groß geworden, in der es jahrzehntelang kaum Veränderungen und Entwicklungen gab, und die dann innerhalb von 15 Jahren mehrmals grundlegenden Verwerfungen ausgesetzt war. Und das in einem Sektor, wo für einzelne Kraftwerke zweistellige Milliardenbeträge investiert werden müssen und diese für 30, 40 oder 50 Jahre Laufzeit konzipiert sind. Eine enorme Kapitalintensität muss mit Verlässlichkeit und Planungssicherheit einhergehen, sonst funktioniert das Geschäft nicht.
Und es funktionierte nicht (mehr).
Der schwedische Energiekonzern Vattenfall hat sich inzwischen aus Deutschland zurückgezogen. Eon und RWE haben sich gegenseitig Teile zugeschoben und ihre Geschäfte entflochten. Atomkraft ist ein Auslaufmodell, jedenfalls hier in Deutschland. Die Kohle steht vor dem Aus, Öl und Gas als Kraftwerksbrennstoffe ebenfalls. Der neue Trend ist GreenTech, also regenerative Energien aus Wind-, Solar- und Wasserkraft. Der Klimawandel ist endlich in den Köpfen der Menschen angekommen und wird zunehmend als die zentrale Bedrohung unseres Planeten, der Menschheit und unserer Lebensweise erkannt. Immer neue staatliche Förderprogramme sollen zusätzliche Anreize schaffen, um Investitionen in die gewünschte Richtung zu lenken.
Und RWE… hat sich enorm gewandelt und wandelt sich weiter. Der einstige Kohleprimus Deutschlands fährt komplett auf Stromerzeugung aus regenerativen Quellen ab. Der seit Mai amtierende neue CEO Markus Krebber will RWE in zahlreichen Industriestaaten, darunter die USA, zum führenden Anbieter erneuerbarer Energien machen.
Der RWE Konzern wird bis Ende 2022 rund 2,6 Milliarden Euro an Fördermitteln erhalten, um Steinkohlekraftwerke vom Netz zu nehmen. Im Gegenzug dazu soll die erneuerbare Energieerzeugung massiv ausgebaut werden. So hat RWE derzeit Solar- und Windkraftanlagen mit einer Kapazität von 3,7 Gigawatt im Bau und das Ziel des Konzerns ist, bis 2030 den CO2-Ausstoß um 75 Prozent unter den Emissionswert von 2012 zu drücken. Dazu will RWE jährlich 1,5 Milliarden Euro in erneuerbare Energien investieren.
Dabei geht es allerdings nicht um den zügigen Auf- und Ausbau von Solar- und Windparks, sondern RWE investiert auch in neue Energieträger und -ansätze.
In Lingen baut RWE für rund 100 Millionen Euro die größte Elektrolyseanlage der Welt auf dem Gelände eines ehemaligen Erdgaskraftwerkes. Der grüne Strom soll durch den Einsatz von grünem Wasserstoff produziert werden und könnte in einigen Jahren Großkonzerne wie ThyssenKrupp oder Salzgitter versorgen. Die Inbetriebnahme ist für 2024 geplant.
Mit dem Chemiegiganten BASF hat RWE die Kooperation "Offshore to X" gestartet, um CO2-intensive Produktionsprozesse von Chemikalien am BASF Standort Ludwigshafen gegen neuartige CO2-freie Prozesse zu tauschen. Der dazu benötigte Strom wird von RWE und BASF zusammen in Offshore-Windparks in der deutschen Nordsee produziert. Mit dem überschüssigen Strom produziert RWE dann mittels Elektrolyse grünen Wasserstoff.
Aber nicht nur in Deutschland engagiert sich RWE. In Großbritannien will man ein neues Servicezentrum mit einer 24-Stunden-Leitwarte bauen. Dieses soll der Überwachung und für Reparaturen von „Triton Knoll“ und "Sofia" dienen, den beiden größten Offshore-Windparks des Konzerns in der britischen Nordsee. Ab Ende 2023 sollen dort 140 Mitarbeiter tätig sein, 60 neue Jobs entstehen.
Der neue RWE-CFO Michael Müller legte den Finger in die Wunde: "Die Geschwindigkeit des Kohleausstiegs hängt vor allem von der Geschwindigkeit des Ausbaus der Erneuerbaren Energien und der Netze ab". RWE erzielt aktuell noch den größten Teil seiner Energie aus Kohle und da der Strombedarf stark steigt angesichts der Elektromobilitätswende, können die Kohlekraftwerke erst dann abgeschaltet werden, wenn entsprechende grüne Ersatzkapazitäten bereit stehen. Flaschenhals sind dabei immer öfter die Übertragungsnetze, deren Ausbau dringend erforderlich ist, der aber viel zu langsam vorangeht. Vor allem wegen der vielen Klagen von "Umweltschützern" und Bürgern vor Ort, die zwar alle grünen Strom haben wollen, aber keinesfalls ein Windrad oder eine Übertragungsleitung in ihrer Nähe. Wenn der grüne Strom offshore in der Nordsee produziert wird, aber nicht zu den Nutzern, vor allem den Industriegebieten im Ruhrgebiet und in Bayern und Baden-Württemberg transportiert werden kann, wird die Umwelt gleich dreifach belastet. Hier besteht dringender Handlungsbedarf!
RWE sieht sich jedenfalls auf dem richtigen Weg und hat Ende Juli seine Prognosen für das Gesamtjahr 2021 angehoben. Die RWE AG geht nun von einem bereinigten EBITDA im Segment Energiehandel von 525 Millionen Euro aus anstelle der bisher erwarteten 150 bis 350 Millionen. Im Konzern soll das EBITDA nun zwischen 3,0 und 3,4 Milliarden Euro liegen.
Und was wird aus Eon?
Im Jahr 2019 hatten die einstigen Erzrivalen RWE und Eon eine strategische Partnerschaft vereinbart. Anstatt sich weiterhin direkte Konkurrenz zu machen, hat man Geschäftsfelder fusioniert und sie dann untereinander aufgeteilt. In einem weiteren Transaktionsschritt hat Eon 2020 den Bereich erneuerbare Energie von innogy an RWE übertragen. Dadurch gingen die Verteilnetze von RWE an Eon über, so dass sich Eon künftig auf Energievertrieb und Netzbetrieb konzentrieren wird. RWE erhielt im Gegenzug von Eon das Geschäft mit erneuerbaren Energien.Als Folge der Deals hält RWE heute eine 16,7-prozentige Beteiligung an Eon, die aktuell rund 4,75 Milliarden Euro wert ist. Diese erklärte RWE-CEO Krebber allerdings als "nicht-strategisch" und hat sie auf den Prüfstand gestellt. RWE selbst wird momentan mit 21,75 Milliarden Euro bewertet. Auf der anderen Seite spielt die Eon-Beteiligung eine üppige Dividende in die RWE-Kasse, die nach einem Verkauf der Aktien natürlich entfiele.
Warren Buffett sagte einmal, mit Energieversorgern würde man nicht reich, aber man bleibe es. Nun, da hatte er noch nicht von der deutschen Energiewende gehört. denn beim Blick auf den Langzeitchart kommen einem die Tränen. 1991 notierte der Kurs bei 20 Euro, heute bei 32, der Hochpunkt lag Anfang 2008 bei über 100 Euro. In den letzten 30 Jahren gab es zwar schöne Dividenden, aber die Inflation hat den Großteil davon weggefressen. Und wenn man sich ansieht, welche Renditen man mit Alternativen hätte erzielen können, und da muss man sich gar nicht Amazon, Apple oder Microsoft vorknöpfen, wird man geradezu sprachlos.
Schaut man sich hingegen nur den kürzeren Zeitraum von fünf Jahren an, dann macht der RWE-Kurs durchaus was her, denn der Kurs konnte in dieser Zeit um mehr als 100 Prozent zulegen. In diese Zeit fallen die große Transformation des Geschäftsmodells und die Ausrichtung auf die grüne Zeitenwende in der Energieversorgung.
RWE hat ambitionierte Ziele und große Konkurrenz. Denn auch viele der großen Ölmultis, wie Shell, BP oder Total wenden sich von fossiler Energie ab und steuern ihre Investitionen in den Bereich grüner Stromerzeugung um. Die Preise im Sektor explodieren daher und neben den vielen Fördergeldern und Staatssubventionen heizt dies die Preisspirale weiter an. RWE nutzt die Gunst der Stunde und erfindet sich neu. Daher stehen die Aussichten gut, dass aus dem Dauergroschengrab mittel- und langfristig nun doch noch eine Geldmaschine wird.
Mein Fazit
Aussichtsreiche Wachstumswerte finden sich nicht nur im Nebenwertesegment, sondern auch unter den Blue Chips. Dabei darf man nie den Fehler machen und die Vergangenheit einfach in die Zukunft fortschreiben. Anleger haben weder etwas von vergangenen Unternehmensgewinnen noch sollten sie sich an früheren Misserfolgen festbeißen, wenn diese klar benannt und abgestellt wurden.Linde folgt seinem Erfolgsweg, Adidas ist auf den seinen zurückgekehrt und RWE geht ganz neue Wege, während man noch einigen Ballast mitzuschleppen hat. Aber den will und wird man unterwegs noch loswerden. Insofern bieten alle drei Unternehmen aussichtsreiche Perspektiven, ohne dass sie zu den ganz angesagten, neuen Branchen gehören. Tolle Unternehmen kann man überall finden – wenn man nur gründlich genug sucht…
Disclaimer: Habe Amazon, Apple, Delivery Hero, HelloFresh, Microsoft, Qiagen, Zalando auf meiner Beobachtungsliste und/oder in meinem Depot.
Bei RWE sollten auch noch die erheblichen stillen Reserven durch CO2-Zertifikate erwähnt werden, die RWE seinerzeit noch zu einem Spottpreis erworben hat. Der aktuelle Wert bzw. die Schätzung dieser stillen Reserven geht von 10-13 bis 18-24 Milliarden. D.h. in Höhe der gesamten aktuellen MK. Tendenz steigend aufgrund der politisch jährlich erhöhten CO2 Bepreisung.
AntwortenLöschenRainer, das halte ich für eine viel zu optimistische Interpretation. RWE hat sich gegen steigende CO2-Preise abgesichert bis Ende 2030. Das war clever. Aber RWE benötigt diese CO2-Zertifikate auch, weil man Unmengen von CO ausstößt. Bedeutet: man kann hier keine Gewinne erzielen, sondern man erspart sich den Anstieg in der Zukunft und ist hier besser aufgestellt als die Konkurrenz, die künftig die hohen Kosten in der GuV zu spüren bekommen wird.
LöschenWürde RWE diese "stillen Reserven" jetzt heben durch einen Verkauf, hätte man das Risiko wieder an Bord, weil man für die nächsten 10 Jahre eben diese C=2-Zertifikate benötigt. Man müsste sie also wieder zurückkaufen und ob der Preis künftig höher oder tiefer ist, ist kaum prognostizierbar. Tendenziell sollte er eher weiter ansteigen, weil das politisch auch gewollt ist. Aber... dann können diese stillen Reserven nicht gehoben werden!
Folglich wird RWE in den nächsten Jahre bessere Ergebnisse einfahren, weil man von den steigenden CO2-Preisen verschont bleibt. Das ist durchaus ein satter Vorteil ggü. der Konkurrenz. Und den kann man auch bei Discounted-Cashflow-Ansatz mit ansetzen, als wäre es eine vergünstigte Zinskondition. Und damit ergäbe sich Aufwertungspotenzial für die RWE-Aktie im Vergleich zu den Wettbewerbern, die sich nicht (so clever) abgesichert haben.
Doch die stillen Reserven voll gegen die Marktkapitalisierung gegenzurechnen, halte ich für kräftig überambitioniert.
Der politische Tenor ist jetzt aber die Braunkohle viel früher vom Netz zu nehmen als 2030 (wie auch immer dann die Stromversorgung garantiert werden soll).
LöschenDann bleiben die teuren CO2 Zertifikate für RWE als stille Reserve übrig.
Hi Michael, als Verschlinger deines Bloges ist mir aufgefallen, dass es der Report von vor zwei Wochen war.
AntwortenLöschenVielen Dank für deinen guten Content und viele Grüße Sebastian
Moin Sebastian,
Löschendas ist völlig richtig. Der Inhalt wurde vor 10 Tagen den Abonnenten des Dienstes kostenlos per Mail zugestellt und ich darf dann mit freundlicher Genehmigung mit Zeitverzug den Inhalt hier im Blog ebenfalls einstellen (ganz vorne über dem Artikel steht auch "Aktien Report Nr. 61 vom 23.09.2021"). Dadurch ergibt sich Content für das Blog, aber eben mit ein paar Tagen Verzögerung. Ist halt ein Kompromiss...