Aktien Report Nr. 58 vom 03.09.2021
Ist Regulierungswut das neue tödliche China-Virus?
China hält die Welt in Atem. Angeführt von Staats- und Parteichef Xi Jinping scheint eine Revolution von oben durch das Land zu gehen, was andere als Rolle rückwärts in Zeiten des blutroten Kommunismus deuten.Es drängen sich geradezu Parallelen zur chinesischen Geschichte auf. Als 1990 der Ostblock in sich zusammenbrach und die UdSSR unterging und mit ihr der Warschauer Pakt, wehte nicht nur durch Moskau der von der deutschen Rockband Scorpions besungene "Wind of Change", sondern auch durch Chinas Hauptstadt Peking. Doch Chinas KP hielt ihre Macht fest und setzte auf Gewalt und Militär. So endete der demokratische Traum, als auf dem "Platz des himmlischen Friedens" Panzer friedliche Demonstranten zu Tode walzten.
Damals waren sich alle (westlichen) Kommentatoren einig, dass China seinen gerade erst mühsam akzeptierten Platz am Tisch der führenden Nationen ein für alle Mal verspielt hätte und dass niemals wieder jemand Vertrauen in dieses Regime haben würde. Ähnliches wird man nach dem Koreakrieg, Maos Kulturrevolution und dem Vietnamkrieg auch gedacht haben. Aber es kam anders, ausgerechnet unter dem republikanischen Skandalpräsidenten (nicht Trump, nein, ich meine Nixon) gab es die erste große Annäherung. Und im Lauf der Zeit nach 1990 auch wieder. China öffnete sich dem Westen und kopierte vieles. Es führte marktwirtschaftliche Elemente ein und bald war die allgemeine Lesart (des Westens), China wäre marktwirtschaftlich organisiert, während politisch die Führungsriege der Kommunistischen Partei herrsche.
Andere Beobachter waren eher der Meinung, Chinas KP kümmere sich vor allem um ihren Machterhalt. Und da sie sah, dass in den marktwirtschaftlich organisierten Ländern der Wohlstand viel höher war als in China und stetig weiter zunahm, kam sie schnell zu der Erkenntnis, dass das chinesische Volk irgendwann genug davon haben würde, Wohlstand nur im Fernsehen zu erleben und nicht selbst daran teilzuhaben. Und so beschloss die KP, der Wirtschaft Freiheiten einzuräumen und sich so Handel und Wohlstand entwickeln zu lassen. Mit Erfolg.
In den letzten 25 Jahren wuchs Chinas Wirtschaft rasant und sein Wohlstand ebenso. Es etablierte sich eine wachsende und vermögende Mittelschicht und es gab eine stark zunehmende Klasse von Superreichen. Dabei blieb aber ein Großteil der Chinesen auf der Strecke. Jenseits der großen Wachstums- und Ballungszentren leben die Chinesen noch immer in Armut und bar jeder modernen Infrastruktur, sei es die Versorgung mit Trinkwasser, Elektrizität oder halbwegs benutzbare Straßen. Hieraus ergab und ergibt sich neuer sozialer Sprengstoff und damit eine Gefahr für die allmächtige KP. Die gar nicht mehr so allmächtig war. Denn viele der neuen Superreichen nutzten ihren neuen Reichtum, um sich Macht und Einfluss zu sichern. Und wurden so auch zur Bedrohung für die Partei.
Jack Ma, Gründer und Chef von Alibaba, bekam das mehrfach zu spüren. Er hatte es wiederholt gewagt, Chinas KP öffentlich und lautstark zu kritisieren – und ihm wurden die Flügel gestutzt. Er verschwand wochenlang von der Bildfläche und sein Firmenimperium wurde von öffentlichen Stellen regulatorisch unter Beschuss genommen. Paradebeispiel ist der Frontalangriff auf die Ant Group, den Finanzarm von Alibaba, dem nur wenige Tage vor dem Börsengang der Boden unter den Füßen weggezogen wurde. Seitdem muss sich das einstige Fintech-Unternehmen zu einem normalen Finanzinstitut umwandeln und sich entsprechend strenger Regulation unterwerfen. Die vorherige Wachstumsdynamik wurde so zum Fremdwort.
Doch das war nur der Auftakt. In Hong Kong wurde die Demokratiebewegung gewaltsam niedergeknüppelt, im Norden des Landes, von der Welt weitgehend ignoriert, wird an den muslimischen Uiguren ein Genozid verübt. Größere Aufmerksamkeit (im Westen) erfahren die Eingriffe in die Wirtschaft und auch die nehmen in den letzten anderthalb Jahren immer mehr zu.
Die privaten Bildungsanbieter wurden de facto mit einem Berufsverbot belegt. Mit der kürzlich verabschiedeten Bildungsreform hat China schriftliche Prüfungen für Sechs- und Siebenjährige verboten und bei älteren Schülern dürfen diese nur noch einmal im Jahr stattfinden. Zuvor hatte Peking bereit vorgeschrieben, dass alle privaten Nachhilfeunternehmen nur noch als Non-Profit-Anbieter agieren und keinen Gewinn mehr machen dürfen. Darüber hinaus hatte China neue Vorschriften erlassen, wonach Unternehmen, die Schulfächer unterrichten, keine ausländischen Investitionen mehr annehmen dürfen. Börsennotierte Unternehmen können kein weiteres Kapital über die Börse mehr aufnehmen, und Ferien- und Wochenendnachhilfe ist verboten. Die Aktienkurse von New Oriental Education oder TAL Education verloren in der Spitze über 90 Prozent.
China geht aber auch gegen die Gamingbranche vor, weil die Jugend viel zu viele Stunden mit virtuellen Spielen verbringt. Insbesondere Tencent als größter Spieleproduzent und -anbieter wird von den neuen Einschränkungen getroffen, auch wenn die unter 16-jährigen nur für 2,6 Prozent der Brutto-Gaming-Umsätze stehen und die unter 12-jährigen nur für 0,3 Prozent, wie Tencent betont.
Grundsätzlich richtet sich der Bannstrahl gegen die großen Technologieriesen, also Alibaba und Tencent. Beide haben geschlossene Ökosysteme aufgebaut und sich gegeneinander abgeschottet. Dabei wurden Kunden und Händler, die auf ihren Plattformen Produkte oder Dienstleistungen anbieten, gezwungen, sich zwischen beiden Konglomeraten zu entscheiden. Chinas KP nennt dies schädlich für den Wettbewerb und zwingt die beiden, sich füreinander zu öffnen. Und damit auch für Dritte, kleinere Wettbewerber. Das ist noch einer der positiven Eingriffe, denn von den Änderungen profitieren zwar zuerst einmal die kleinen Wettbewerber und die Kunden, aber durch den eigenen nun wieder nötigen Innovationsdrang langfristig auch Alibaba und Tencent.
Die (wenig freiwillige) "Rückgabe an die Gesellschaft"
Chinas Staatschef lässt aber nicht locker. Er setzt nicht nur auf die Kraft des Marktes, die durch erzwungene Öffnung Erfolge bringen soll, sondern auch auf Drohungen. Nachdem er mehrfach seinen Worten einschneidende und harte Maßnahmen hat folgen lassen, reicht inzwischen ein Aufruf, damit die Unternehmer und die Unternehmen springen. So kritisierte Xi Jinping mehrfach, der Reichtum einiger Weniger gehe zulasten der Gesellschaft, er sprach vom "barbarischen Wachstum" und prägte das Bild von "der Rückgabe an die Gesellschaft". Seitdem überschlagen sich die Konzerne, "Spenden" an die Gesellschaft zu leisten, um Jinpengs Ziel des „allgemeinen Wohlstands“ zu unterstützen. Sie tun das, um den Machthaber milde zu stimmen und um staatlichen Eingriffen zuvorzukommen.Kostproben gefällig? Xiaomis Gründer Lei Jun übertrug Aktien im Wert von umgerechnet 1,8 Milliarden Euro in eine Stiftung für wohltätige Zwecke. Das ist "nett" von ihm und könnte an die private Initiative "The Giving Pledge" von Warren Buffett erinnern, der weitere Multimilliardäre um sich geschart hat, die vor oder nach ihrem Ableben den Großteil ihres Geldes sozialen oder humanitären Zwecken zukommen lassen. Jeff Bezos, Richard Branson, Hasso Plattner, Bill Gates und viele andere gehören zu den Teilnehmern. Und immer geht es um ihr privates Vermögen.
Doch leider geht es auch anders, wie China gerade unter Beweis gestellt. Denn dort "spenden" immer mehr Unternehmen Milliarden "an die Gesellschaft". Der Internet-Händler Pinduoduo will 1,3 Milliarden Euro für die Entwicklung der ärmeren ländlichen Regionen Chinas bereitstellen und Tencent und Alibaba machen sogar umgerechnet 6,5 und 13 Milliarden Euro an Spenden locker. Aber sie spenden das Geld ihrer Aktionäre, ohne dass diese zuvor gefragt wurden. Es trifft damit nicht nur die Superreichen, bei denen sich der exzessive Geldzuwachs konzentriert hat, sondern viele Kleinanleger, die mit Aktien versuchen, ihre karges finanzielles Dasein aufzupeppen und auf diese Weise zu etwas oder mehr Wohlstand zu gelangen.
Wie man es auch dreht und wendet, das Prozedere erinnert stark an das typische Muster einer Mafia-Schutzgelderpressung. Und der fade Beigeschmack ist auch derselbe.
Chinas Börsen auf Talfahrt
Es kann also nicht verwundern, dass sich Chinas Börsen im Sinkflug befinden, während andernorts auf der Welt neue Höchstkurse zu verzeichnen sind. Optisch sind chinesische Aktien viel günstiger bewertet als ihre westlichen Pendants, vor allem die US-Firmen. Aber immer neue staatliche Eingriffe, neue Drangsalierungsmaßnahmen und willkürliche "Spenden-Erfordernisse" sind nun einmal Risikofaktoren, die auch Geld kosten. Dem entsprechend ist die lausige Börsenentwicklung chinesischer Aktien nachvollziehbar.Darüber hinaus ist Chinas Führung nicht mehr gewillt, um jeden Preis fehlgeleitete Unternehmen zu retten. Als vor einigen Jahren der Immobiliensektor ins Wanken geriet, stützte Peking die Unternehmen und ihre Banken mit Milliardenkrediten und Hilfspaketen. Als später die Kurse massiv einbrachen, wies Peking Staatsfirmen an, ihre Liquiditätsreserven in Aktien zu investieren, um die Kurse zu stützen.
Und heute? Die Börsenkurse taumeln und Peking bläst nicht zum Kauf. Der Immobiliensektor wankt und Peking hat in diesem Jahr schon mehr als 200 Firmen der Branche in die Pleite rutschen lassen, ohne sie zu (unter-)stützen. Mit China Evergrande steht eines der größten Immobilienkonglomerate auf der Kippe, wodurch direkt mehr als 250 Milliarden Euro an Schulden im Feuer stehen. Und Peking greift nicht direkt ein, lässt aber private Unternehmen an einem Hilfspaket arbeiten. Ausgang offen.
Guru-Duell
Nun bestimmen nicht die Fakten die Entwicklung der Börsenkurse, sondern die Interpretation der Fakten durch die Masse der Anleger."Die Börse besteht nur zu 10 Prozent aus Fakten, und zu 90 Prozent aus Emotionen."
(André Kostolany)
Und so bestehen hinsichtlich der Faktenlage kaum Unterschiede bei den meisten Anlegern, aber bezüglich zweier entscheidender Fragen sind sich auch Star-Investoren nicht einig.
1. Wie lange und wieviel Staatseingriffe wird es noch geben?
2. Wie einschneidend sind die Eingriffe?
Ray Dalio als Chef des weltgrößten Hedgefonds Bridgewater Associates ist überzeugt, dass die chinesischen Behörden lediglich versuchen, die richtige regulatorische Antwort auf ein sich schnell veränderndes Kapitalmarkt-Umfeld zu finden. Er rät: "Geh davon aus, dass solche Dinge auch in Zukunft passieren und investiere entsprechend. Aber fehlinterpretiere diese Spielräume nicht als Trendwende, und geh nicht davon aus, dass dieser chinesische Staatskapitalismus genauso wie der westliche Kapitalismus ist".
Im Frühjahr hatte Charlie Munger 19 Prozent des Vermögens seiner privaten Beteiligungsgesellschaft Daily Journal in Alibaba-Aktien investiert und er wird nicht müde darauf hinzuweisen, dass China die Zukunft gehöre und dort die großen Wachstumsmöglichkeiten für Unternehmen und Aktieninvestoren liege.
Cathie Wood hatte alle ihre China-Aktien aus den Fonds ihrer Fondsgesellschaft ARK Investment geworfen, war jüngst aber mit ordentlich Feuerkraft bei JD.com eingestiegen. Sie äußerte sich so, dass der Druck auf Chinas Unternehmen noch nicht zu Ende sei und sich so lange deren Aktien unterdurchschnittlich entwickeln werden. 'Ist noch zu früh' dürfte die korrekte Übersetzung lauten, 'außer in begründeten Einzelfällen'. Tja…
Und Softbank Group, die 26% an Alibaba halten und in viele chinesische Startups investiert haben, hat bekannt gegeben, man habe alle weiteren China-Investments auf Eis gelegt und investiere bis auf Weiteres in anderen Ländern. Indien, Südostasien und Lateinamerika stehen hier hoch oben auf der Agenda.
Börsenlegende George Soros warnt Anleger sogar vor einer Schnäppchenjagd bei angeschlagenen chinesischen Aktien. Die Regulierungsbestrebungen der Regierung in Peking scheinen noch lange nicht abgeschlossen und könnten die Aktien noch weiter belasten. "Investoren, die sich in die Rally eingekauft haben, werden ein böses Erwachen erleben."
Mein Fazit
Chinas Machthaber greifen durch und ziehen die Zügel an. Sie haben 25 Jahre auf freiheitliches Unternehmertum gesetzt ohne Einschränkungen und dabei auch den Wildwuchs in Kauf genommen. Doch dieser erstickt zunehmend die eigentlich gewünschten Erfolge, denn es bildeten sich Monopole heraus, mächtige Personen und Firmen, die Konkurrenten einfach erdrücken konnten.Der Wohlstand erreicht aber zu wenige Menschen und dort, wo er sich konzentrierte, fing er an die Macht von Chinas KP herauszufordern und zu gefährden. Diese ist nun in die Offensive gegangen und sichert ihren Machtanspruch. Das tut sie so, dass sie ihren Zugriff auf das Vermögen der Reichen hinter publikumswirksamen Werbesprüchen verstecken kann. Dabei geht sie genau den umgekehrten Weg, wie ihn Ludwig Erhard 1949 für die Bundesrepublik einschlug, als er "Wohlstand für alle" propagierte und auf einen freien Markt setzte. Mit Erfolg.
China nutzt eine ähnliche Parole, schränkt aber den freien Markt ein. Chinas KP agiert totalitär und sozialistisch, Umverteilung wird zum Programm. Ludwig Erhard setzte auf eine sozialpolitische Begleitung der Marktwirtschaft und schuf die „Soziale Marktwirtschaft“. Davon ist China weit entfernt und auch nicht auf dem Weg in diese Richtung. Das muss jedem Investor klar sein.
Inzwischen zeigt sich die Börse auch schon abgehärtet. Wir haben das bei der Finanzkrise erlebt und auch beim Coronaabsturz. Während die Wirtschaft und die Nachrichtenlage noch voll auf Crashkurs sind, finden die Börsen bereits ihren Boden und beginnen damit, wieder zu steigen. Sie klettern entlang der Wall of Worry hinauf, weil die Abgabebereitschaft nachlässt und der Einstieg der Schnäppchenjäger auf ein nicht mehr größer werdendes Angebot stößt. Wer in Panik geraten war, hat bereit kapituliert und sich aus seinen Aktien verabschiedet. Und muss dann ungläubig mit ansehen, wie die Kurse zu steigen beginnen. Der erwartete nächste Rücksetzer bleibt aus und immer mehr Anleger kehren zu höheren Kursen in den Markt zurück.
Ein ähnliches Muster – im Frühstadium – scheint sich bei China-Aktien abzuzeichnen. Trotz negativer Nachrichtenlage halten sich weitere Kurseinbrüche in Grenzen und/oder werden schnell wieder hochgekauft. Die Panikstimmung weicht. Und da die Aktien grundsätzlich der aktuellen Lage um 12 bis 18 Monate vorauslaufen, finden sich mehr und mehr Anleger, die auf diese Sicht mit einer Verbesserung der Lage rechnen.
Gut möglich also, dass es eine Gegenbewegung der China-Aktien gibt und dass auch wieder mehr Starinvestoren ins Reich der Mitte zurückkehren. Ob sich die niedrigere Bewertung der Chinawerte als große Gelegenheit entpuppt, oder sie zum Dauerzustand im Verhältnis zu den US-Werten wird, ist heute noch nicht abschätzbar.
Die USA erschweren den chinesischen Unternehmen den Zugang zum US-Finanzmarkt und China zerrt in die Gegenrichtung. Gerade erst hat Staatslenker Xi Jinping verkündet, in Peking eine dritte große Chinabörse etablieren zu wollen. Und zwar als Schwerpunktbörse für KMUs, kleine und mittlere Unternehmen. Auch dieser Fingerzeig ist wegweisend und deutet auf ein gewünschtes Erstarken des Mittelstands.
Zumindest hier folgt China dem Weg Ludwig Erhards. Denn der deutsche Mittelstand ist nach wie vor das Rückgrat unserer Wirtschaft und in vielen Bereichen sind deutsche Unternehmen auch globale Marktführer. Solche "Hidden Champions" wünscht sich nicht nur China, sondern auch die USA. Zu Recht. Ob die USA mit ihrer auch unter Biden fortgesetzten protektionistischen Wirtschaftspolitik hier erfolgreich sein werden, oder China mit seiner staatlich gelenkten Wirtschaftsliberalismuskarikatur, bleibt abzuwarten. Für Deutschland ergibt sich hieraus eine Chance, verlorenes Terrain zumindest ein Stück weit wieder zurückzugewinnen.
Disclaimer: Habe Softbank Group auf meiner Beobachtungsliste und/oder in meinem Depot/Wiki.
Spannend. Danke für die Einschätzung.
AntwortenLöschenBin über Softbank lediglich indirekt in China dabei.
Wenn China dann lieber Taiwan.
Oder eben Sea für die Region Asien.