Zu seinem wohl am meisten beachteten Werk gehört das CAPE-Ratio, auch Shiller-KGV genannt, das als Indikator für den Börsenmarkt gilt (CAPE steht dabei für cyclically adjusted price-to-earnings ratio).
Robert Shiller und John Campbell kamen 1988 in einer Studie zu dem Ergebnis, es müsse ein sinnvoller(er) Bewertungsmaßstab entwickelt werden, als das vorherrschende Kurs-Gewinnverhältnis (KGV). Ein Maßstab, der weniger anfällig für kurzfristige Entwicklungen sein und eher mittel- bis langfristige Börsenbewertungen ermitteln sollte. Ihr Vorschlag lautete, das KGV nicht mehr auf Basis der aktuellen Gewinne zu berechnen, sondern auf Basis der durchschnittlichen Gewinne der vergangenen zehn Jahre. Zusätzlich sollten die Gewinne um die Inflationsrate bereinigt werden. Die so ermittelte Gewinnreihe wurde als gleitender Durchschnitt ins Verhältnis zum aktuellen Kurs gesetzt und ergibt dann das CAPE-Ratio bzw. Shiller-KGV.
Dieses Shiller-KGV wird seither häufig als Bewertungsmaßstab für die Börsen herangezogen, doch in den letzten Jahren geriet es zunehmend in die Kritik - es hat nämlich seine Vorhersagekraft eingebüßt. Auch deshalb haben sich in den letzten Jahren viele Value Investoren vom Shiller-KGV abgewandt und nun folgt ihnen auch Shiller selbst. Aus den gleichen, guten Gründen...
Denn unsere Welt hat sich in den letzten Jahren dramatisch verändert. Für die Finanzmärkte auf eine ganz besondere Art: die Zinssätze sind ins Bodenlose gefallen. Und das hat natürlich auch Auswirkungen auf die Preise von Sachwerten, wie Aktien oder Immobilien.
Value-Ikone Jeremy Grantham wandte sich 2017 vom "Deep Value Investing" ab. Er bemerkte, dass insbesondere das KGV seit 20 Jahren signifikant oberhalb seiner langjährigen Durchschnittswerte notierte. Früher lag der Durchschnitt bei 14, doch seit mehr als 20 Jahren notiert es im Mittel bei 23. Und die Hauptursache der neuen Wirklichkeit war schnell gefunden: neben dem schnellen technologischen Wandel ist es vor allem das dauerhaft niedrige Zinsniveau, denn es ließ und lässt die Gewinnmargen der Unternehmen dauerhaft ansteigen; sie liegt seit 1997 bei durchschnittlich 7%, während sie vorher bei 5% lag. Ein nachhaltiges Umkehren von den niedrigen Zinsniveaus ist nicht abzusehen, daher dürfte dieser Zustand weiter anhalten und muss in die Bewertung von Assets einbezogen werden.
Grantham vertritt deshalb die Auffassung, (auch) Value Investoren sollten nicht sklavisch nach KGVs im niedrigen zweistelligen oder gar einstelligen Bereich suchen, sondern auch höhere KGVs bis 20 in Kauf nehmen. Er zielt vielmehr auf dominierende Geschäftsmodelle ab, auf die marktbeherrschende Stellung der Unternehmen im Wettbewerb, auf ihren ökonomischen Burggraben. Marktdominanz bietet die Aussicht auf steigende Gewinnmargen und daher sollten Anleger auch bereit sein, diesen Unternehmen höhere Bewertungen zuzugestehen.
»Du wirst nicht dafür belohnt, Risiken einzugehen. Du wirst dafür belohnt, günstige Vermögenswerte einzukaufen.«(Jeremy Grantham)
Mit dieser Einschätzung steht Grantham nicht allein. Warren Buffett äußerste sich im Jahr 2018 ähnlich, als er nach der vermeintlich hohen Bewertung der Aktienmärkte gefragt wurde. Er sagte damals sinngemäß, dass die Aktienmärkte absolut betrachtet teuer wären, aber unter Berücksichtigung der dauerhaft niedrigen Zinsen nicht.
Ken Fisher hatte sich bereits 1985 gegen die Verwendung des KGVs ausgesprochen, weil der Gewinn die am einfachsten zu manipulierende Kennziffern in einer Bilanz ist. Immer wieder äußerte sich Fisher zur Bewertung von Growthaktien und den Aktienmärkten und auch explizit negativ zum CAPE-Ratio, das er als "Schrott" bezeichnete (2014). Ken Fisher riet und rät dazu, nicht auf das KGV zu achten, weil dieses Anleger in die Irre führe. Er hat ein ganz simples Alternativwerkezug im Gepäck: die Gewinnrendite.
Auch sie setzt auf den bei Anlegern so beliebten Unternehmensgewinn, doch mit einem entscheidenden Unterschied. Die Gewinnrendte ist das umgekehrte KGV. Man teilt nicht den Kurs durch den Gewinn, sondern den Gewinn je Aktie durch den Kurs. Als Ergebnis erhält man die Gewinnrendite in Form einer Prozentzahl. Und die vergleicht man dann mit dem Zinssatz für "risikolose" Staatsanleihen, also zehnjährigen US-Schatzanweisungen oder zehnjährigen Bundesanleihen. Auf diese Art lässt sich eine signifikante Überbewertung des Aktienmarktes viel besser erkennen als durch das KGV. Oder wie Fisher sich ausdrückt: so können Anleger vermeiden, sich von der "Bewertungsfalle" ihre künftigen Kursgewinne wegschnappen zu lassen.
Und nun auch Shiller...
Das bringt uns zurück zu Robert Shiller. Diese hat Ende November 2020 gemeinsam mit Laurence Black und Farouk Jivraj den Artikel "Eine Erklärung für die außergewöhnlich hohen Aktienkurse" veröffentlicht, in dem die Autoren die Kritik am CAPE-Ratio aufgreifen und den Einfluss von dauerhaft niedrigen Zinsen einbeziehen.
"Marktbeobachter haben auf die mögliche Rolle niedriger Zinssätze für den Anstieg der CAPE-Ratios hingewiesen. In der traditionellen Finanztheorie bilden Zinssätze eine Schlüsselkomponente in Bewertungsmodellen. Fallen die Zinssätze, sinkt der in diesen Modellen verwendete Diskontsatz, und der Aktienkurs sollte steigen, vorausgesetzt, alle anderen Modelleingaben bleiben konstant.
Daher ist die Höhe der Zinssätze ein zunehmend bedeutendes Element, das es bei der Bewertung von Aktien zu berücksichtigen gilt. Um diese Effekte zu erfassen und Investitionen in Aktien mit jenen in Anleihen zu vergleichen, haben wir den ECY entwickelt, der sowohl die Aktienbewertung als auch das Zinsniveau berücksichtigt. Zur Berechnung der ECY, kehren wir einfach das CAPE-Ratio um, um eine Rendite zu erhalten, und subtrahieren dann den zehnjährigen Realzinssatz.
Diese Maßzahl ähnelt in etwa dem Equity Market Premium und ist eine nützliche Methode, um das Zusammenspiel von langfristigen Bewertungen und Zinssätzen zu berücksichtigen. Ein höherer Wert weist darauf hin, dass Aktien attraktiver sind."
Shiller erkennt nun also auch (an), dass die Zinssätze einen wichtigen Einflussfaktor bei der Bewertung von Aktien darstellen. Und die drei Autoren haben reagiert und das CAPE-Ratio entsprechend ergänzt.
Die neue Formel heiß ECY (Excess CAPE Yield). Das ECY "invertiert" das KGV und zieht hiervon den Zinssatz "risikoloser" Staatsanleihen ab - wobei diese noch um die Inflationsrate adjustiert (also verringert) wird.
Klingt irgendwie bekannt, oder? Ja, genau, da haben wir wieder Ken Fishers Gewinnrendite! Shillers neue "Wunderformel" ist nichts anderes als das, was Ken Fisher schon seit vielen Jahren den Anlegern als Bewertungskennzahl ans Herz legt, um in Zeiten von Negativzinsen Wachstumwerte adäquat bewerten zu können. Shiller ergänzt das Konzept lediglich um den Abzug der Inflationsrate - was sich zusätzlich attraktiv für die Aktienbewertungen auswirkt.
Daher verwundert es nicht, dass Shiller zu der (für ihn neuen) Erkenntnis kommt, dass Aktien auf dem aktuellen Niveau (doch) nicht zu teuer sind...
Für Leser dieses Blogs und/oder Anhänger von Buffett, Fisher, Grantham ist das jetzt keine neue Erkenntnis, denn das ist hier seit Monaten/Jahren nachzulesen. Aber vielleicht kann das Umdenken eines Wirtschaftsnobelpreisträgers, der seine eigene Formel für gescheitert erklärt, ja dem einen oder anderen bisher noch zögernden Anleger Mut machen, sich neuen Wegen und Ansätzen nicht zu verschließen und nicht einfach nur auf vermeintlich billige Value-Aktien zu setzen, die am Ende keine sind (sog. Value Traps).
Ich kann es euch nicht ersparen, ich muss an dieser Stelle erneut eine Lanze für das Quality Investing brechen! Kauft Qualitätswerte, sucht nach Unternehmen mit breitem ökonomischem Burggraben, haltet nach soliden Bilanzen und Cashflows ausschau. Die gehören nicht in jeder Börsen- und Wirtschaftslage zu den am besten performenden Aktien, aber sie erzielen überdurchschnittliche Renditen und stehen die harten Krisenzeiten gut/besser durch. Man kann mit ihnen ruhiger schlafen, wenn die Börsen wackeln und trotzdem attraktive Renditen erwarten. Auf mittlere und lange Sicht. Selbst wenn man sie vielleicht etwas zu teuer eingekauft hat und der Kurs zunächst einmal ins Minus abdriftet. Ich hatte vor einiger Zeit mal meine "Stars of Cash-Strategie" vorgestellt, die sich genau hieran orientiert und mit "Börsengewinne simplified" untertitelt. Ich denke, damit lag und liege ich nicht ganz verkehrt...
Wieder mal ein toller Artikel! Kleine Anmerkung: ECY = Excess CAPE Yield
AntwortenLöschenvgl. hierzu Artikel von Schiller: https://www.project-syndicate.org/commentary/making-sense-of-soaring-stock-prices-by-robert-j-shiller-et-al-2020-11/german
Seine Aussage: "Die ECY liegt in allen Regionen in der Nähe ihrer Höchststände und sowohl im Vereinigten Königreich als auch in Japan auf einem Allzeithoch. Die ECY für das Vereinigte Königreich beträgt fast 10 Prozent, und etwa 6 Prozent in Europa und Japan. Unsere Daten für China reichen nicht so weit zurück, aber Chinas ECY ist mit rund 5 Prozent ebenfalls leicht erhöht. Daraus geht hervor, dass sich Aktien derzeit im Vergleich zu Anleihen höchst attraktiv präsentieren.
Nur Anfang der 1980er Jahre lag die ECY ebenso hoch"
Gruß
Konstantin
Danke für die Ergänzung bzw. den Hinweis, Konstantin. Hatte gar nicht gesehen, dass man sich den Text auch in Deutsch anzeigen lassen kann - habe die englischen Passagen in meinem Artikel (die Zitatpassage) nun in Deutsch übernommen. Und natürlich Deine Erklärung für ECY. ;-)
Löschen" Grantham vertritt deshalb die Auffassung, (auch) Value Investoren sollten nicht sklavisch nach KGVs im niedrigen zweistelligen oder gar einstelligen Bereich suchen, sondern auch höhere KGVs bis 20 in Kauf nehmen "
AntwortenLöschenDa müsste Herr Grantham aber lange in deinem Depot suchen, bis er KGVs unter 20 findet ;)
Deine Formal angewendet auf AMT: EPS 4,23 (TTM) / 225$ = 0,02
Microsoft: EPS 6,2 / 213$ = 0,03
Amazon EPS 34,2 / 3153 = 0,011
Dazu im Vergleich: US-Staatsanleihen, 10y, bis Sep. 2020: 0,68
Wie ist das einzuordnen? Wo liegt der Unterschied zum "price-earning-ratio (P/E)" ?
Gruß
Du hast x 100 vergessen ;) Prozentrechnung
LöschenAn der Börse wird die Zukunft gehandelt; mit KGVs/ Unternehmenszahlen aus der Vergangenheit Wachstumsaktien bewerten zu wollen, bringt keine zielgerichteten Ergebnisse. Dann muss man sklavisch beim Graham'schen Deep Value-Ansatz bleiben und auf Schnäppchenjagd gehen. Was bekanntermaßen seit 2008/09 nicht mehr gut funktioniert. Kann man natürlich ignorieren und darauf hoffen, dass sich die Verhältnisse zwischen Growth und Value irgendwann mal wieder umkehren. Und das werden sie. Aber nicht, solange die Zinsen so niedrig sind. Ken Fisher hat das gerade wieder sehr schön erklärt: Value-Aktien braucht höhere Zinssätze, weil sie dann durch die Kursschwankungen ihre klassischen Unter- und Überbewertungen an den Tag legen. In denen dann die Renditechancen liegen.
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