Sonntag, 2. Juli 2023

Wertpapierkredit: Über Fluch und Segen eines gehebelten Depots

Ein Wertpapierkredit (auch Effekten-Lombardkredit) ist eine besondere Form des  Kredits, denn seine Besicherung erfolgt durch die Wertpapiere in einem Depot - umgangssprachlich werden diese verpfändet. Die Höhe des Kreditrahmens errechnet sich hierbei an dem Kurswert der zugrunde liegenden Wertpapiere und schwankt daher. Zinsen fallen allerdings nur für den Betrag an, der auch als Kredit in Anspruch genommen wurde, nicht für den maximalen Höchstbetrag des eingeräumten Wertpapierkredits.

Zusätzlich verlangen Banken einen Abschlag auf diesen Kurswert als Risikopuffer für den Fall, dass die Wertpapierkurse fallen; somit soll sichergestellt werden, dass die Sicherheit für den Kreditbetrag ausreicht. Inländische Aktien werden z.B. mit 60% ihres Kurswertes angerechnet, ausländische Aktien mit 50%, Optionsscheine oder Derivate gar nicht. Eine regelmäßige Tilgung des Wertpapierkredits erfolgt nicht, sondern die Summe wird bei Verkauf der Wertpapiere zurückgezahlt (oder durch Einzahlung von Cash in den Kredit); die Zinsen werden allerdings regelmäßig in Rechnung gestellt.

Der Charme eines Wertpapierkredits besteht in seiner Hebelwirkung - die wirkt allerdings in beide Richtungen und daher sollten sich Anleger vorab äußerst gründlich Gedanken über seine Verwendung machen. Und zwar vor allem über die Risiken, denn die Chancen sorgen für sich selbst...

»Du wirst nicht dafür belohnt, Risiken einzugehen. Du wirst dafür belohnt, günstige Vermögenswerte einzukaufen.«
(Jeremy Grantham)

Chancen

Wertpapierkredite sind aufgrund der Besicherung zumeist deutlich günstiger als herkömmliche Kredite, oftmals mehrere Prozentpunkte. Und der Anleger erzielt einen Hebeleffekt mit seiner Wertpapieranlage, indem er zusätzlich dieses Fremdkapital investiert. Dieser Hebel wirkt allerdings in beide Richtungen: steigen die Kurse der gekauften Wertpapiere, erzielt der Kreditnehmer eine Überrendite, fallen sie hingegen, muss er entsprechend höhere Kursverluste hinnehmen, als ohne Kreditinanspruchnahme.

Risiken

Weil die Wertpapiere die Sicherheit darstellen, können Anleger in Versuchung kommen, den Wertpapierkredit bis ans Limit auszureizen.

Beispiel: Der Anleger hat ein Wertpapierdepot in Höhe von €100.000 bestückt mit DAX-Werten. Bei einer Beleihungsquote von 60% könnte er nun für €60.000 weitere Aktien kaufen, so dass sich sein Depotwert auf €160.000 erhöhen würde - und damit würde der Beleihungswert des Depots (60%) auf €96.000 ansteigen. Der Anleger hätte also weitere €36.000 "Luft" zum Investieren, so dass hiernach der Beleihungswert auf €117.600 ansteigen würde uswusf.

Depot (zzgl. 60% Beleihungswert)
€100.000 (€160.000)
€160.000 (€196.000)
€196.000 (€217.600)
...

Das Prinzip dürfte klar geworden sein: durch den Kauf von Wertpapieren auf Kredit erhöht sich der Bestand im Depot und somit auch der Beleihungswert. Wird der zusätzliche Spielraum für weitere Aktienkäufe genutzt, erhöht sich der Beleihungswert erneut und kann nochmals zum Kauf weiterer Wertpapiere genutzt werden. Am Ende ist das Depot mehrfach gehebelt und der Gesamtdepotstand hat sich weit über das ursprüngliche eigene Wertpapiervermögen hinaus aufgeblasen. Steigen nun die Aktienkurse, steigt auch der Beleihungswert weiter an und erzeugt weiteren Spielraum für noch mehr Wertpapierkäufe und das Schneeballsystem kann eine weitere Kaskade drehen. Allerdings wird auch der der 'Risikotoleranzbereich' immer enger. In Zeile 2 sind es €36.000, in Zeile 3 nur noch €21.600.

Beginne nun die Kurse zu fallen, wird der zu geringe Spielraum schnell zum ernsthaften Problem, denn bei einem solchen mehrfach gehebelten Depotbestand wie die Beleihungsgrenze schnell(er) unterschritten und der Broker fordert den Kreditnehmer auf, Geld nachzuschießen, um den Kredit zu verringern und so wieder in Einklang mit der Beleihungsobergrenze zu bringen (sog. 'Margin Call'). Erfolgt dieser Nachschuss nicht, muss der Kunde Wertpapiere verkaufen und zwar so viele, bis der Beleihungswert wieder zum Kreditbetrag passt. Und sollte er dieser Pflicht nicht nachkommen, kann im Extremfall sogar die Bank die Liquidation von Depotwerten veranlassen, meist nach einer kurzen Schonfrist.

Das Problem ist, dass mit jedem Verkauf nicht nur der Kreditbetrag reduziert wird, sondern eben auch der Beleihungswert sinkt - was ggf. in einem fallenden Markt alleine schon ausreichen kann, um die Beleihungsgrenze erneut zu unterschreiten und weitere Wertpapiere verkaufen zu müssen. Die 'Beleihungskaskade' dreht sich immer schneller und zwar in die falsche Richtung! Auch sie wirkt in beide Richtungen, sie maximiert die Hebelwirkung.
»Regel Nummer eins lautet: niemals Geld verlieren. Regel Nummer zwei lautet: vergiss nie Regel Nummer eins.«
Gerade in starken Korrektur- oder gar Crash-Phasen kann ein Wertpapierkredit zu erheblichen Verlusten führen und unter Umständen gar zu einem Totalverlust! Und zwar nicht nur, wenn man die Beleihungsgrenze maximal ausgereizt und das Depot mehrfach gehebelt hat. Und spätestens dann werden Anleger den Sinn von Buffetts 'goldener Regel' verstehen, dass man niemals Geld verlieren sollte. Doch dann ist es zu spät, denn die einmal erlittenen Verluste wieder aufzuholen, ist alles andere als einfach und manchmal sogar unmöglich.
(Warren Buffett)
Daher sollten sich Anleger der Risiken vollauf bewusst sein, bevor sie auf einen Wertpapierkredit setzen. Wie die aktuelle Marktverfassung uns nämlich zeigt, kann der Markt durchaus völlig aus dem Ruder laufen und die Kurse panikartig in den Keller schicken, auch für längere Zeit. Ich habe damit ja meine eigenen, sehr schlechten Erfahrungen gemacht, die ich unter "Ein Margin Call? Das ist ja wohl das allerletzte... Warnsignal!" ausführlich beschrieben habe.
»Die Märkte können länger irrational bleiben als du solvent.«
Fallende Aktienkurse sind für sich selbst genommen schon eine emotionale Belastungsprobe, aber sie können durch Inanspruchnahme eines Wertpapierkredits und eintrudelnde Margin Calls sogar in die finanzielle Katastrophe führen. Und dieses Risiko ist nicht nur theoretischer Natur, sondern kann ganz schnell ganz konkret werden.

Risiko: Zinsänderung

Und nachdem die Zeit des ultrabilligen Geldes durch die Zinswende der Notenbanken beendet wurde, ergibt sich auch wieder ein altes neues Risiko: Zinsänderungen. Denn es macht durchaus einen Unterschied, ob man für die Inanspruchnahme seines Wertpapierkredits 3 % oder 6 % aufbringen muss, denn die Zinszahlung ist ja liquiditätswirksam und belastet den eigenen Cashflow. Und wenn man die Zinsen nicht aufbringen kann, weil man den Wertpapierkredit komplett ausgereizt hat und die sonstigen Einnahmen nicht genügend Cash auf dem Konto erzeugt haben, steht man auch in dieser Situation vor gegebenenfalls verlusttreibenden Verkäufen von Aktienpositionen. Einen Margin Call zu kassieren, weil man die Zinsen für den Wertpapierkredit nicht aufbringen kann, wäre ja nun doppelt peinlich dämlich...

»Der Zauber des Zinseffekts auf Gewinn wird von der Last des Zinseffekts auf Kosten zerdrückt.«

In 'normalen' Zinszeiten erfordert ein Wertpapierkredit also zusätzliche Aufmerksamkeit und ein solides Money Management, damit er sich am Ende wirklich in einer positiven Extrarendite niederschlägt.


Risiko: Nachträglicher Entzug der Beleihungsfähigkeit

Auf ein weiteres und keinesfalls zu vernachlässigendes Risiko hat mich Blogleser Tom aufmerksam gemacht: den nachträglichen Ausschluss von Wertpapieren von der Beleihung (in seinem Fall Tabakaktien). Wenn bei Aktienpositionen der Beleihungswert auf einmal auf Null gesetzt wird, sinkt der Beleihungswert des Depots insgesamt - und kann dadurch natürlich auch die Mindestschwelle unterschreiten, was dann einen 'Margin Call' nach sich ziehen würde. Und zwar ausgelöst völlig ohne Verschulden seitens des Wertpapierkreditnehmers, sondern alleine aufgrund des Verhaltens der Bank bzw. des Brokers!

Im Zuge der jüngsten 'ESG-Manie' muss man dieses neue Risiko wohl künftig auf dem Schirm haben denn es kann neben Tabak prinzipiell auch andere Branchen treffen, wie z.B. Rüstung, Atomkraft oder Zucker.

••• Überarbeite Fassung eines Artikels aus Januar 2018

7 Kommentare:

  1. Hallo Michael!
    Eine Frage: Wo hast du deinen WPK mit 3% her? Ich selbst liege bei flatex mit ca. 4,9%

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    1. Ich habe meine Aktien in meiner GmbH und das Depot bei der Commerzbank. Die haben mir auch den WP-Kredit zu 3% eingeräumt.

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    2. Die Zinsanhebungen der EZB zeigen auch bei meinem Wertpapierkredit Wirkung: inzwischen sind die Zinsen seitens der Commerzbank sukzessive auf über 6 % angehoben worden, was die Zinsbelastung (bei Inanspruchnahme) glatt verdoppelt.

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  2. Moin Michael, wie ich aktuell erfahre, sind nicht nur fallende Kurse für den Beleihungswert eines Wertpapierkredits ein Risiko, sondern auch der plötzliche Ausschluss bestimmter Aktien von der Beleihung: Ich habe seit Jahren einen WPK bei Smartbroker, der mit 2,25 Prozent Zins lange Zeit extrem günstig war. Auch der aktuelle Zinssatz von ca. 3,9 Prozent ist noch absolut akzeptabel. Allerdings hat die BNP Paribas, die als Bank hinter Smartbroker steht, zwei meiner Depotpositionen (nämlich Tabakaktien) von der Beleihung ausgeschlossen. Momentan habe ich zwar noch genügend Puffer durch meine ganzen anderen Positionen, aber ein größerer Kurssturz dürfte jetzt nicht mehr kommen! Beste Grüße, Tom

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    1. Moin Tom,
      der nachträgliche Ausschluss bestimmter Wertpapiere von der Beleihung ist natürlich wein weiteres (und mir bisher unbekanntes) Risiko, das man im Zuge der 'ESG-Manie' auf dem Schirm haben muss. Danke für den wichtigen Hinweis!

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  3. Hallo Michael,
    ich verstehe ehrlich gesagt den Sinn von Wertpapierkrediten nicht ganz (zumindest in Dimensionen in denen ich finanziell unterwegs bin), stattdessen habe ich mir eine Konsumkrediten geholt. Die Zinssätze für WP-Kredite waren bei all meinen Vergleichen sehr ähnlich, oder teilweise sogar höher als bei Konsumkrediten.
    Dort habe ich einen festen Zinssatz und eine feste Tilgung für die nächsten 10 Jahre und bekomme nie einen Margin call. Sondertilgungen sind jederzeit möglich, sollte ich mich unwohl fühlen.
    Klar es fehlt die Flexibilität, und der Kredit ist nicht endfällig, aber die Entkopplung der Risiken ist sehr beruhigend.

    Grüße Alex

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    1. Hallo Alex,

      es gibt mehrere Vorteile: Der WP ist flexibel nutzbar, er kann zu jederzeit durch Verkäufe/Einzahlungen auf 0 zurück oder durch Käufe/Auszahlungen auf bis zu 100% des Lombardrahmens gefahren werden. Zinsen fallen nur für die Tage an, wo er genutzt wird und nur in der Höhe der tatsächlich verwendeten Summe. Beim Konsumkredit zahlst du immer für die volle Kreditsumme, ob du sie am Ende zu 100% nutzt oder überhaupt nicht nutzt ist egal.

      WP-Kredite kann man selbst bei Discountbrokern in mehreren Währungen bekommen, dadurch spart man sich die Wechselkursgebühren bei Kauf/Verkauf auf ausländischen Börsenplätzen in Fremdwährung.

      Speziell für Stillhaltergeschäfte ist der Lombardrahmen sehr interessant, da die Stillhaltermargin nur den Lombardrahmen reduziert aber keinen WP-Kredit auslöst. Erst wenn die Option ausgeübt wird, muss auf den Kredit zurückgegriffen werden.
      Das gleiche gilt für Limitorders, die die theoret. mögliche Kaufkraft reduzieren. Ein Lombardrahmen erlaubt hier eine höhere Anzahl an Orders in den Markt zu legen.

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