Das Interview mit mir führte Florian Günther von Investorenausbildung.de, wo der Artikel am 21. November 2016 zuerst erschien.
FG: Ich hatte die Möglichkeit Michael Kissig von intelligent-investieren.net zu interviewen. Er ist ein Blogger „der frühen Stunde“ und einer der erfolgreichsten im deutschsprachigen Raum. Herr Kissig, bitte stellen Sie sich kurz vor.
MK: Ich bin ein gemütlicher Mittvierziger, der das Leben im schönen Norden Deutschlands genießt; die Elbe und die Hamburger Stadtgrenze erreiche ich zu Fuß in 10 Minuten. Gerade diese Mischung aus städtischem Leben und ländlicher Ruhe gefällt mir außerordentlich gut und ich nutze dies gerne zum Ausgleich, indem ich im Wald oder am Deich Rad fahre oder Nordic walke.
Seit 30 Jahren interessiere ich mich für Finanzen, und wirtschaftliche Zusammenhänge, vor allem für die Börse. Das hat mich als Hobby immer neben meiner Ausbildung und meinen beruflichen Tätigkeiten begleitet und inzwischen ist es mehr als ein Hobby, worüber ich sehr glücklich bin.
FG: Auf Ihrer Homepage intelligent-investieren.net betreiben Sie einen Blog. Nun ist es so, dass es viele andere Finanzblogs schon gibt. Was macht Sie unter diesen vielen besonders?
MK: Ich habe das Blog vor fünf Jahren gestartet, ohne einen wirklichen Plan zu haben, was ich damit eigentlich erreichen will. Meine damalige, spontane Überlegung war, mir ein öffentliches Instrument zur Selbstkontrolle und Selbstdisziplin zu schaffen. Denn indem ich meine Meinung und vor allem meine Investmententscheidungen öffentlich und für alle Leute zugänglich verkünde, mache ich mich ja auch angreifbar für Kritik. Das Internet ist weitgehend anonym und das macht es für jemanden, der sich als reale Person dort zu erkennen gibt, besonders herausfordernd. Aber genau dieses Spannungsfeld war das, was ich suchte. Ich wollte mein Verständnis vom Investieren mitteilen und andere dazu bringen, von mir zu lernen.
Die andere Seite der Medaille, die mindestens genauso wichtig ist, stellt mein eigenes Lernen dar. Immerhin habe ich schon so manche schlechte Entscheidung in den letzten fast 30 Jahren an der Börse getroffen, den Neuen Markt habe ich beide Richtungen voll mitgenommen. Durch das Blog bekomme ich Feedback, Kritik und Anregungen, die mir helfen, meine Fehler zu erkennen, sie abzustellen (wenn möglich) und selbst ein besserer Investor zu werden. Durch das Blog lerne ich also, ich lasse mich von den Lesern stetig aus- und weiterbilden. Das bringt mich jeden Tag ein Stück weiter und es ist auch ein Grund dafür, weshalb ich das Blog kostenlos betreibe und nicht mit Werbung zupflastere. Meine Absicht ist nicht, mit dem Blog selbst Geld zu verdienen, sondern durch die Ideen und das Wissen, das ich dort von den Lesern erhalte, ein erfolgreicherer Investor zu werden – und dadurch bessere Gewinne an der Börse einzufahren.
Ich habe mich beruflich inzwischen so aufgestellt, dass ein nicht geringer Teil meiner Zeit in die Verwaltung meines eigenen Vermögens fließt, das ich in meiner Firma gebündelt habe. Daher beschäftige ich mich zu einem erheblichen Teil meiner Arbeitszeit mit Investments, vornehmlich in Aktien. Und meine Überlegungen und Erfahrungen teile ich dann über das Blog mit anderen.
FG: Bitte berichten Sie unseren Lesern von Ihrem „Blog Alltag“.
MK: Einen wirklichen Alltag gibt es hierbei nicht. Ich bin Investor und daher beschäftige ich mich mit der Börse und Unternehmen, lese viel zu diesem Thema, insbesondere Unternehmensmeldungen und Geschäftsberichte. An manchen Tagen habe ich Zeit und Muße Grundsätzliches über das Investieren zu schreiben, nehme mir oft ein Zitat eines großen Investors vor und beschreibe anhand dessen, was erfolgreiches Investieren ausmacht. Im Grunde ist es eine Charakterfrage, ob man die Disziplin und die Geduld aufbringt, um ein guter und erfolgreicher Investor zu sein. Und da ich in beiden Bereichen weit von Perfektion entfernt bin, hilft mir das intensive Beschäftigen mit diesen Grundsätzen, mich selbst immer wieder an diese grundlegenden Erfolgsgaranten zu erinnern und sie jedes Mal wieder ein Stück mehr zu verinnerlichen.
Und dann gibt es Tage, da geht es eher um konkrete Unternehmen, um wichtige Meldungen oder Entwicklungen. Dann befasse ich mich damit, schreibe auch im Blog hierzu meine Einschätzung und suche die Diskussion mit den Lesern. Ich habe nicht immer Antworten und schon gar nicht immer die richtigen. Es kommt vor, dass ich aufgrund der Diskussionen im Blog meine Meinung zu einem Unternehmen oder einer Situation ändere; nicht spontan, aber eben so, dass ich ins Grübeln komme und den neu gewonnenen Aspekten nachgehe. Der ehemalige Hamburger Bürgermeister Klaus von Dohnanyi sagte einmal: „Zweifel ist eine Frage der Intelligenz“. Und wenn man sich eine Meinung gebildet hat, fällt man leicht in ein Verhaltensmuster, das „Confirmation Bias“ genannt wird: wir suchen nach Bestätigung und werten derartige Informationen höher als solche, die unsere Position schwächen. Kritik und andere Einschätzungen sind hier ein gutes Instrument, seine eigene Position sattelfester zu machen. Oder sie über den Haufen werfen zu müssen. Auch das ist ja ein Fortschritt, wenn man erkennt, dass man Dinge übersehen hat und falsch liegt.
FG: Wie sind Sie zum Thema Finanzen gekommen?
MK: Ich mag Geld. Schon als Kind gab es mir ein beruhigendes Gefühl, wenn mein Vermögen stetig anwuchs, es gab mir Sicherheit. Mit Vermögen meine ich hier allerdings mein Guthaben auf meinem Taschengeld-Blümchen-Sparbuch, also ziemlich bescheidene Summen. Ich habe dann, noch als Schüler, das Thema Börse für mich entdeckt und nach dem Abitur mit einer Banklehre die Grundlage dafür gelegt, dass ich kaufmännische Zusammenhänge besser verstehe, aber auch die Art und Weise, wie Geld entsteht, welche Wege es nimmt, wie es sich vermehrt und welche Abläufe im Hintergrund nötig sind, um die Geldströme zu steuern und am Laufen zu halten. Ich denke, dass mir diese Einblicke auch heute noch helfen, manche Meldungen aus einer anderen Sicht zu betrachten, nicht nur aus Sicht eines Investors.
FG: Es ist interessant, dass sich auch Unternehmensberater für Finanzen interessieren. Gibt es in Ihrem Fachgebiet Dinge, die Sie für Ihr Finanzleben ableiten können?
MK: Der Weg war ja anders herum, das Interesse für Finanzen war zuerst da und ist sicherlich auch ein Grund für meine berufliche Ausrichtung. Ich bin ja auch noch Aufsichtsratsmitglied und seit einigen Jahren Aufsichtsratsvorsitzender eines kommunalen Energieversorgungsunternehmens. Auch dabei geht es um Zahlen, Geschäftsberichte, Anpassungserfordernisse beim Geschäftsmodell und ich erkenne bei jeder Aufsichtsratssitzung aufs Neue, dass ich viel zu wenig weiß und dass andere Leute ganz andere Fragen stellen als ich. Fragen, die selbst auch hätte stellen sollen, weil die Antworten mir neue Einblicke und Informationen gebracht haben. Ich bin zwar Vorsitzender aber eben auch Mitglied eines Teams, das den Vorstand berät, aber eben auch überwacht. Andere Leute haben andere Hintergründe, andere Fachgebiete und andere Interessen. Daraus ergeben sich andere Sichtweisen und neue Denkansätze. Und hier schlage ich den Bogen zurück zum Blog: ich bin als Blogbetreiber auch hier in einer herausragenden Position, ich verfasse die Artikel und gebe damit meine Meinung vor. Als Diskussionsgrundlage und als Teil des Teams, zusammen mit den Lesern, gewinnen wir zusammen in den Diskussionen neue Erkenntnisse, neue Sichtweisen. Das ist der wahre Mehrwert für mich, den ich aus dem Blog ziehe. Nur wenn man versucht, ständig besser zu werden, hat man die Chance, gut zu sein und zu bleiben.
FG: Wie kommen Sie zu Ihren Inhalten? Welche Bücher lesen Sie?
MK: Der Schwerpunkt bei der Lektüre liegt schon im Bereich Value Investing. Im Grunde gibt es hier seit Benjamin Graham keine neuen Erkenntnisse, aber es gibt immer wieder neue Ansätze, das Wissen in der Praxis umzusetzen. Wir Menschen sind verschieden und wir allen brauchen unterschiedliche Wege, um zur Erkenntnis zu gelangen.
Des Weiteren lese ich auch Bücher über Behavioral Finance. Die eigenen Emotionen sind unser Feind an der Börse, die der anderen sind unser Freund. Denn emotionale Ausnahmesituationen sorgen für Übertreibungen des Marktes, für einseitige Schieflagen, in denen Investoren ihre Chancen nutzen können. Hier klaffen die Abstände zwischen Wert und Kurs einer Aktie stark auseinander und je nach Lage ergibt sich eine herausragende Kauf- oder Verkaufsgelegenheit. Das Verständnis für emotionale Beweggründe an der Börse ist für Value Investoren elementar, sie ist der Schlüssel dafür, Chancen als solche zu erkennen und vermeintlichen Chancen aus dem Weg zu gehen.
FG: Was war Ihre allererste Investition?
MK: Meine erste Aktie habe ich 1988 gekauft, ich glaube sogar noch vor meinem 18. Geburtstag, die Vereins- und Westbank AG aus Hamburg, heute eine Tochter der italienischen UniCredit. Weil die ein tolles Buffet auf der Hauptversammlung haben sollten, wie mir aus Insiderkreisen versichert worden war, denn ein Nachbarjunge war der Neffe eines Vorstandsmitglieds. Dem war auch so und daher hat sich das Investment letztlich gelohnt. Kursgewinne habe ich kaum eingefahren, aber zum Reinschnuppern in die Welt der Aktien war das kein ganz schlechter Start. Ich habe die Hauptversammlung besucht, eine Dividendenausschüttung miterlebt, mich über die Bank- und Börsenprovisionen – und die Steuern – geärgert und am Auf und Ab der Börsenkurse teilgenommen.
FG: Welchen Ratschlag können Sie unseren Lesern in kurzen Worten zu der aktuellen Börsenlandschaft geben?
MK: Auf lange Sicht sind Aktienkurse immer gestiegen, selbst wer zum Höchstpunkt eingestiegen ist, hat bisher immer Kursgewinne eingefahren. Auf den Gesamtmarkt gesehen, bei einzelnen Investments erleidet man durchaus auch mal Schiffbruch. Es gibt keine Möglichkeit, den perfekten Einstiegszeitpunkt zu finden. Nur im Rückspiegel erkennt man sie, aber sich damit zu beschäftigen, ist völlig überflüssig. „Kaufe nicht, wenn der Kurs am niedrigsten ist, verkaufe nicht, wenn er am höchsten ist. Das können nur Lügner“, mahnte uns diesbezüglich schon Börsenlegende Bernard Baruch.
Es kommt also nicht darauf an, den günstigsten Kurs zu erwischen, sondern darauf, das richtige Unternehmen zu finden. Ein Unternehmen, das den Widrigkeiten trotzen kann, ein fähiges und ehrliches Management hat und eine solide Bilanz. Und dessen Aktienkurs unterhalb seines fairen Wertes liegt. Findet man ein solches Unternehmen, dann ist immer der richtige Zeitpunkt, seine Aktien zu kaufen. Und dann muss man Geduld haben, dem Unternehmen einfach die Zeit lassen, sich zu entwickeln. Sein Aktienkurs mag Kapriolen veranstalten, aber der Wert seiner Aktien tut das nicht einmal ansatzweise. Übertreibungen nach unten sind Nachkaufgelegenheiten, Übertreibungen nach oben sollte man zu Gewinnmitnahmen nutzen. Ansonsten sollte man einfach abwarten und auf seinem Hintern sitzen, so lautet Charlie Mungers Rat. Und als Partner von Warren Buffet sollte er mit am besten wissen, wie man an der Börse erfolgreich investiert.
FG: Herr Kissig, Sie erhalten heute 1 Million Euro geschenkt. Wie verwenden Sie das Geld?
MK: Die Börsen sind momentan vergleichsweise hoch bewertet, was auch an den niedrigen Zinsen liegt. Ziehen Inflation und damit auch die Zinsen an, kann das negativ für die Börsenkurse wirken. Und es bleibt abzuwarten, was Trump als Präsident wirklich tut, das wird Auswirkungen auf die Wirtschaft und die Börsen haben, nicht nur in den USA. Ich würde in der aktuellen Situation daher nicht „all in“ gehen, also nur rund die Hälfte des Geldes in ausgesuchte Werte stecken, die zurzeit ein attraktives Chance-Risiko-Verhältnis aufweisen. Die andere Hälfte hielte ich in Cash, um bei einem möglichen deutlicheren Rücksetzer der Börsen beherzt zugreifen zu können.
FG: Wer ist Ihr größtes Vorbild?
MK: Es mag jetzt einfallslos klingen, als Value Investor Warren Buffett zu nennen, aber er ist es. Nicht, weil er der wohl erfolgreichste Investor aller Zeiten ist oder der zweitreichste Mensch der Welt, sondern weil er eine feste Überzeugung hat, einen genauen Plan, wie erfolgreiches Investieren funktioniert. Und von diesem Plan weicht er nicht ab, er hat die nötige Geduld, er hat die nötige emotionale Distanz zu den Aktienkursen, um im günstigsten Moment gegen den Markt zu handeln, wenn es ihm richtig erscheint. Er setzte auf dem Hochpunkt der Finanzkrise Milliarden auf Goldman Sachs und auf die Bank of America, als niemand mehr eine Zukunft sah. Aber Buffett kaufte nicht blind, nur weil die Aktien abgestützt waren, sondern er war überzeugt davon, dass die Banken und insbesondere diese Banken die Krise überstehen würden, dass das Finanzsystem als ganzes die Krise überleben würde. Und deshalb kaufte er sich in die Banken ein, als alle anderen die Aktien in Panik auf den Markt warfen. Für Buffett war es eine rationale Entscheidung, während alle anderen emotional kollabierten. Buffett kann zu jeder Zeit das Business eines Unternehmens von seinem Aktienkurs trennen und geht konsequent seinen Investmentweg. Und deswegen ist er mein größtes Vorbild, denn es ihm gleich zu tun, macht uns zu besseren Investoren.
FG: Vielen Dank Herr Kissig für die tollen Einblicke. Ich wünsche Ihnen weiterhin viel Spaß und Erfolg mit Ihrem Blog und Ihren Investments.
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