Als Schwarzer Schwan (Black Swan) wird ein unerwartetes Ereignis von enormer Tragweite bezeichnet, das die Finanzmärkte abrupt aus der Bahn werfen kann.
Geprägt hat den Begriff der Publizist und Börsenhändler Nassim Nicholas Taleb in seinem im Jahr 2007 erschienen Buch "Der Schwarze Schwan: Die Macht höchst unwahrscheinlicher Ereignisse". Taleb beschreibt darin, dass Menschen es sich in einer "Zone des Vorhersagbaren" bequem machen und so extrem unwahrscheinliche Ereignisse kaum eine Rolle in ihrer Risikobetrachtung spielen. Allerdings treten diese Ereignisse doch häufiger auf, als man annimmt, wie z.B. bei der Subprime-Krise in den USA, der folgenden Pleite der Investmentbank Lehman Brothers, dem Tsunami in Japan mit der anschließenden Atomkatastrophe von Fukushima - oder jetzt aktuell mit der Corona-Pandemie.
Dabei ist nicht jeder überrasche "Einschlag" gleich ein Schwarzer Schwan. Wesentlich für einen Schwarzen Schwan ist, dass das Ereignis außerhalb der "normalen Wahrscheinlichkeiten" liegt, also quasi ein "Passiert-eh-nie-Ereignis" ist, und dieses Ereignis muss gravierende Auswirkungen haben auf die Menschen, die Natur und/oder auf die Wirtschaft.
Auch wenn es im Nachhinein Anzeichen und Hinweise auf das dann zurückliegende Großereignis gab, so sind diese doch nicht (sicher) prognostizierbar. Und genau deshalb führen sie bei ihrem Auftreten zu großen Verwerfungen an den Finanzmärkten. Daher sollten Anleger stets Risiko bewusst agieren und nicht einseitig nur auf die vermeintlichen Chancen bzw. Renditen schauen.
Second Level Thinking nach Howard Stanley Marks
Schwarze Schwäne sind furchterregend und ihr Auftreten geht mit großen Umwälzungen einher. Aber sie stellen nicht nur einen Endpunkt einer Entwicklung dar, sondern auch den Anfang einer neuen. Das erkennt man zumeist nicht auf den ersten Blick, aber ein zweiter, tieferer sollte sich lohnen. Star-Investor Howard Stanley Marks nennt das "Second Level Thinking" und er misst dem Gedanken über den ersten Impuls der Masse hinaus entscheidende Bedeutung bei. Denn auf den ersten Gedanken, den Impuls, kommen alle. Er liegt so klar auf der Hand, dass es keinen Vorteil bringt, sich auf ihn als Entscheidungsgrundlage zu stützen. Erst der genauere Blick, das Nachdenken über die Folgen und über Begleiterscheinungen bringt uns die Erkenntnisse, die den anderen entgehen. Und hierin schlummert das Potenzial für außergewöhnliche Erfolge - nicht nur, aber vor allem an der Börse.
Eine Pandemie wie Corona ordnet Taleb übrigens nicht der Klasse der Schwarzen Schwäne zu, sondern der der Grauen Schwäne. Ein Grauer Schwan ist ein äußerst seltenes und potentiell disruptives Ereignis, das aber gut greifbar ist. Und eine Pandemie großen Ausmaßes , auf dass die kurzfristig handelnde und wenig vorausschauende Welt schlecht vorbereitet ist, liegt nach Taleb eben nicht außerhalb der Wahrscheinlichkeiten; anders gesagt: Graue Schwäne sind nicht das Undenkbare, sondern das Unbedachte.
Der Schwarze Schwan als Innovationsimpuls
Und dann treten Schwarze Schwäne auch als Positivereignisse auf, jedenfalls im Nachhinein betrachtet. Die Erfindung der Dampfmaschine, der Glühbirne, der Eisenbahn, des Telefons, des Automobils, des Computers, des Internets das waren der Definition nach letztlich auch Schwarze Schwäne und ihre Auswirkungen waren gewaltig. Ganze Industrien gingen zugrunde und die Menschen ängstigten sich, verloren zu Millionen ihre Arbeitsplätze, es gab soziale Unruhen. Auf längere Sicht waren diese Ereignisse, diese bahnbrechenden Erfindungen, jeweils der Startschuss für eine weitere Stufe der Innovation, in deren Folge in den neuen Branchen Millionen neuer, andersartiger Jobs geschaffen wurden.
Schwarze Schwäne bringen Verunsicherung und Umwälzungen mit sich. Sie legen aber auch immer die Saat für eine neue starke Entwicklung. Die Welt sieht nach ihnen nicht mehr so aus wie vorher, weil wir Menschen danach streben, die Dinge erklärbar und kalkulierbar zu machen. In der Phase des Umbruchs werden die Anstrengungen, der jeweiligen Krise Herr zu werden, enorm verstärkt, unvorstellbare Ressourcen werden in die Krisenbewältigung gesteckt - und nach Überwinden der Krise haben sich hieraus neue Methoden, neue Ideen, neue Strukturen herausgebildet, die nicht alle einfach wieder verschwinden, sondern teilweise fortbestehen, wenn und weil sie sich bewährt haben.
Das chinesische Schriftzeichen für Krise beinhaltet zwei Silben, die einzeln gelesen die Worte Gefahr und Chance bedeuten. "Chance und Risiko sind die Kehrseiten der gleichen Medaille", heißt es in einem Deutschen Sprichwort - und auch bei dramatischen Ereignissen, einem Schwarzen Schwan, trifft diese Erkenntnis zu: Die Welt sieht nach dem Auftauchen eines Schwarzen Schwans anders aus als vorher; auf kurze Sicht hat er große negative Auswirkungen, aber auch lange Sicht lässt sich der Innovationsschub deutlich erkennen. Es dürfte interessant sein zu erfahren, was die Geschichtsbücher einmal über den Corona-Impuls berichten werden, welche bahnbrechende neue gesellschaftliche Entwicklung seinem Auftauchen zugeschrieben wird...
Mein Lese-Tipp
▶ "Der Finanz-Code: Die Erfolgsphilosophie des letzten großen Investors" von Howard Marks
▶ "Der Schwarze Schwan: Die Macht höchst unwahrscheinlicher Ereignisse" von Nassim Nicholas Taleb
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