Sonntag, 22. Mai 2022

Psychologie der Massen: Buffett erklärt, weshalb Lemminge keine guten Anleger sind

Heftige Börsenkorrekturen ereignen sich immer mal wieder. Nachdem S&P 500, DOW und DAX Ende 2021 noch neue Allzeithochs markierten, folgte anschließend ein regelrechter Ausverkauf. Die zunehmende Panik wegen explodierender Preise und Inflation, gestörter Lieferketten sowie steigender Zinsen zerrt an den Nerven. Nicht Fakten dominieren in solchen Phasen das Börsengeschehen, sondern die Emotionen Angst und Gier. Und viele Anleger müssen eine der ältesten Lektionen des Börsengeschäfts neu lernen...

So schlimm sich ein Börseneinbruch auch anfühlt, gab es doch in den letzten Jahren mehrfach kräftige Rücksetzer; mal um 2.000 Punkte mal um mehr als 1.000. Und ganz schnell kippt in diesen Phasen dann die Stimmung und Panik macht sich breit, die Angst vor dem großen Crash. Immer mehr Anleger kapitulieren vor ihrer eigenen Angst und werfen ihre Papiere unlimitiert auf den Markt und verstärken den Abwärtstrend noch zusätzlich. So wie Ende 2018, natürlich beim Corona-Crash Anfang 2020 und auch 2022. Vergleiche mit 1931 werden gerne und schnell gezogen, dem Hochpunkt der Weltwirtschaftskrise, als Massenarbeitslosigkeit, Hunger und Massenverelendung herrschten. Davon ist heute nichts zu spüren, trotz aller Probleme leben heute mehr Menschen in Wohlstand und weniger Menschen als jemals zuvor mussten ihr Dasein unterhalb der Armutsgrenzen fristen. Die heutigen Rahmenbedingungen unterscheiden sich grundlegend von denen während der Weltwirtschaftskrise.

Die Börse läuft zur realen Entwicklung nicht immer parallel. Kurse fallen heftig, bis irgendwann die 'Zittrigen' alle ihre Papiere verramscht haben, während die 'Hartgesottenen' sie dankend billig einsammeln konnten, wie André Kostolany die beiden vorherrschenden Börsentypen charakterisierte.
»Sei ängstlich, wenn andere gierig sind. Sei gierig, wenn andere ängstlich sind.«
(Warren Buffett)
Rückblickend scheint es dann immer einfach gewesen zu sein, an der Börse Geld zu verdienen. Jeder Kurvenbewegung kann ein Ereignis zugeordnet werden und man hat schnell eine Erklärung parat, warum der Index dies oder die Aktie das getan hat. Und man lässt sich leicht zu dem Gedanken hinreißen, "hätte ich doch bloß...". Irgendwie hat man bei den Hochs immer das Gefühl gehabt, verkaufen zu sollen, und bei den Tiefs, den richtigen Einstiegszeitpunkt erahnt zu haben. Nur entsprechend gehandelt hat man selten.

Was daran liegt, dass es nach vorne schauend nicht ganz so einfach ist, an der Börse Geld zu verdienen. Der Durchschnittsanleger ist nämlich ein Herdentier, ein Lemming, und wer meint, dies sei eine ziemlich negative Charakterisierung, der hat recht. Denn die Masse der Anleger verliert Geld und die große Mehrheit der Fondsmanager performt schlechter als ihr Vergleichsindex. Doch woran liegt das bloß, halten Anleger sich doch bei Befragungen stets für "überdurchschnittlich" erfolgreich?

Die Antwort ist so simpel wie einleuchtend: Psychologie. Wenn Aktien steigen, will jeder dabei sein und die Kursgewinne mitnehmen. Und wenn die Börse abwärts rauscht, will jeder aussteigen, möglichst schnell und zu jedem Preis. Was psychologisch nachvollziehbar ist ('Behavioral Finance'), ist dann auch der Grund, weshalb Anleger nicht besser, sondern überwiegend schlechter abschneiden als der Gesamtmarkt. Sie folgen der Herde und können daher nicht besser sein. In der Wahrnehmung konzentrieren sich immer mehr Anleger auf die gleichen Risiken und Themen und überhöhen somit ihre Bedeutung (sog. 'Attention Bias') - mit entsprechend starken Auswirkungen auf die Aktienkurse.
»Die erste Regel im Geschäft ist: unterdrücke deine Emotionen. Sonst verlierst du den Kopf.«
(Gordon Gekko" in Oliver Stones Epos "Wall Street")
Allerdings gibt es leuchtende Beispiele, dass es auch anders geht. Solche, wie Warren Buffett, der seit mehr als 50 Jahren an der Börse agiert und eine durchschnittliche Performance von an die 20 % aufzuweisen hat. Jahr für Jahr. Doch Buffett und andere folgen nicht dem Markt, sondern sie nutzen seine Mechanismen nur gnadenlos aus. Sie kaufen, wenn alle anderen verkaufen und sie verkaufen, wenn jeder Aktien haben will. Dazu braucht es Mut, ungeheuren Mut, denn sich gegen die vorherrschende Meinung zu stellen heißt, in den Augen der anderen närrisch zu sein. Solange, bis einem der Markt zustimmt.

Die erfolgreichen Anleger sind bereit diesen Preis zu zahlen. Der Durchschnittsbürger und Durchschnittsanleger nicht, er möchte mit der Herde laufen, aber selbstverständlich besser als sie abschneiden. Was natürlich so gut wie unmöglich ist, das liegt eigentlich auf der Hand.
»Es ist unmöglich, überdurchschnittliche Renditen zu erreichen, wenn man nicht anders handelt als die Mehrheit.«
Wer also nicht die Charakterfestigkeit aufbringt, eisern an einmal festgesetzten Prinzipien festzuhalten, und zwar genau dann, wenn es schwer ist, muss dennoch nicht gleich einen Bogen um die Börse machen. Denn in Anbetracht der quasi nicht vorhandenen Alternativen, sind Aktien aus einem erfolgreichen Depot zur Vermögensanlage nicht wegzudenken. Gerade wir Deutschen haben die fatale Neigung, uns lieber auf Sparbücher und die staatliche Rente zu verlassen - beides keine gute Idee. Denn das eine bringt kaum noch Zinsen, während das andere kaum noch eine auskömmliche Rentenhöhe verspricht. Und wer glaubt, im Alter mit der Hälfte seiner bisherigen Einkünfte auszukommen, sollte es einfach mal versuchen. Und zwar sofort. Er sollte einen Aktien-ETF-Sparplan anlegen und monatlich die Hälfte seines Nettoeinkommens als Sparrate dort einzahlen. Dann dürfte er im Alter kaum Probleme haben, seinen Lebensstandard zu halten. Nein, umgekehrt, da sich ja heute schon die Ausgaben um die Sparrate verringert würden, stünde beim Renteneintritt sogar mehr Einkommen zur Verfügung, nämlich das aus dem ETF. Aber ich wage zu behaupten, dass kaum jemand in der Lage ist, einfach mal so mit der Hälfte seines monatlichen Einkommens auszukommen. Nicht ohne erhebliche Einschränkungen und Änderung der Gewohnheiten.

Und wer meint, er müsse die aktuelle turbulente Marktphase erst einmal abwarten, bevor er Aktien kauft, dem möchte ich folgendes Zitat ans Herz legen:
»Der Aktienmarkt ist der einzige Markt, vor dem die Leute weglaufen, wenn dort ein Ausverkauf stattfindet.«
Momentan schießen die Zinsen in die Höhe. Ja. Aber die Bundesanleihen werfen trotzdem nur knapp 4 % Rendite ab. Bei 6 % Inflation. Kein gutes Geschäft, weil man nach einem Jahr 2 % weniger Kaufkraft hat und auch noch Steuern auf die Zinsen zahlen darf. Zinspapiere sind also keine Lösung des Problems!

Kritiker dieser Lesart werfen nun gerne ein, dass 2 % Verlust angesichts von Börsenverlusten in Höhe von 20 % ja immer noch besser seien. Klar. Doch diese Kursverluste sind eine Momentaufnahme. Und sie verschweigen, dass die Kurs zuvor über viele Jahre lang mit deutlich zweistelligen Prozentzuwächsen aufwarten konnten.

»Wir besitzen Aktien auf der Grundlage unserer Erwartungen hinsichtlich ihrer langfristigen Geschäftsentwicklung und nicht, weil wir sie als Vehikel für zeitnahe Marktbewegungen betrachten. Dieser Punkt ist entscheidend: Charlie (Munger) und ich sind keine Stockpicker, sondern Businesspicker.«
(Warren Buffett)

Es zahlt sich selten aus, nur auf die Kurse zu starren. Man sollte sich immer die hinter den Aktien stehenden Unternehmen anschauen und sich die besten, solidesten und aussichtsreichsten herauspicken. 

Quality Investing ist der Weg!

Es wird immer Unsicherheiten im Leben geben und so auch an der Börse. Daher sollte man nicht auf windige Storys setzen, sondern auf solide Unternehmen mit etabliertem Geschäftsmodell, breitem ökonomischen Burggraben, vertrauensvollem Management und stetigen, am besten steigenden, Cashflows und Gewinnen. Mit solchen Unternehmen im Depot kann man auch beruhigt den Börsenturbulenzen zuschauen, denn derartige Unternehmen überstehen auch die stürmischen Phasen, passen sich an und haben die nötigen Rücklagen, um gestärkt aus Krisen hervorzugehen - und legen damit die Basis für die nächste Kursrallye in ihren Aktien.

Beherzigen Anleger diese einfachen Grundregeln, dann folgen sie dem Weg des Quality Investing, dem Anlagestil, den Value Investor Warren Buffett geprägt und der ihn zu einem der reichsten Menschen der Welt gemacht hat.
»Fehler auf herkömmliche Art zu machen, das ist der richtige Weg; als Gruppe haben Lemminge zwar ein mieses Image, aber kein einzelner Lemming hatte jemals eine schlechte Presse.«
(Warren Buffett)
Immanuel Kant riet uns, den Mut zu haben, uns unseres eigenen Verstandes zu bedienen. Das gilt nicht nur an der Börse und bei der Auswahl unserer Investments, dort aber in besonderem Maße. Wir sollten von einem Investment, einer Aktie zumindest so überzeugt sein, dass wir bereit sind, 10 % unseres Vermögens in sie zu investieren, rät Warren Buffett. Kluge Anleger nehmen sich diese Worte zu Herzen und setzen dieses KO-Kriterium gezielt ein, bevor sie eine Aktie kaufen.

»Bringe so viel Mut und Überzeugung auf, dass du zumindest 10 Prozent deines Kapitals in eine Geldanlage stecken kannst.« 
(Warren Buffett)

Dabei liegt auch Superinvestor Buffett nicht immer richtig und beweist jedes Jahr aufs Neue Demut. Denn zu Beginn seines Jahresberichts an die Aktionäre seiner Investmentholding Berkshire Hathaway beschreibt er jeweils den aus seiner Sicht größten Fehler, den er im vorangegangenen Jahr gemacht hat. Seine Erfolge sprechen für sich, auf seine Fehler muss ihn niemand hinweisen, die erkennt er selbst. Und benennt sie ganz offen. Denn Fehler zu machen, gehört zum Investieren dazu. Oder wie Buffett es ausdrückt: "Wer keine Fehler macht, hat es sich nur zu einfach gemacht".

Also wenn wir als Herdentiere schon anderen hinterher laufen, dann doch bitte den Erfolgreichen! Leuten wie Charlie Munger und Warren Buffett. Das ist ist wesentlich cleverer, als einfach nur stumpf der Masse nachzurennen. Selbst Lemminge kämen mit cleveren Anführern bestimmt auch viel besser über die Klippen... ääh die Runden. ツ


Wer mehr über "die Psychologie der Massen" erfahren will...


Die Psychologie der Massen beschäftigt uns nicht erst seit kurzer Zeit, sondern schon über die Jahrhunderte hinweg. Und das nicht nur an der Börse.

Ende 2018 erschien das Werk "Gustave Le Bon an der Börse - Psychologie der Massen für Aktionäre" von Dr. Felix Johnson (▶ hier bestellen). Dabei handelt es sich um den übersetzten Originaltext von Gustave Le Bon aus dem Jahr 1865 mit Kommentierungen von Dr. Felix Johnson. Diese setzen Le Bons wissenschaftliche Abhandlung in den Kontext der Finanzmärkte und bieten hierdurch einen direkten Mehrwert für Aktionäre als praktisches Handbuch für die Aktienanlage und ausgezeichnete Grundlage für den Einstieg in die Welt der 'Behavioral Finance'.

Dieses Buch hat allerdings für mich über das bloße Interesse als Anleger und Leser hinaus einen ganz persönlichen Touch, denn ich wurde damals gebeten, das Vorwort zu verfassen. Diese Anfrage empfand ich als große Ehre und bin dem Wunsch sehr gerne nachgekommen. Und auch der Rest des Buches ist durchaus lesenswert... ツ


Meine Lese-Tipps
▶ "Buffett. Die Geschichte eines amerikanischen Kapitalisten" von Roger Lowenstein
▶ "Das Tao des Warren Buffett" von Mary Buffett und David Clark
▶ "Die Essays von Warren Buffett: Die wichtigsten Lektionen für Investoren" von Lawrence A. Cunningham
▶ "Investieren mit Warren Buffett. Sichere Gewinne mit der Fokus-Strategie" von Robert G. Hagstrom
▶ "So liest Warren Buffett Unternehmenszahlen" von Mary Buffett und David Clark
▶ "So macht es Warren Buffett: 24 einfache Anlagestrategien" von James Pardoe
▶ "Warren Buffett. Das Leben ist wie ein Schneeball" von Alice Schroeder
▶ "Warren Buffett – Der Jahrhundertkapitalist" von Gisela Baur
▶ "Warren Buffett: Sein Weg. Seine Methode. Seine Strategie." von Robert G. Hagstrom
▶ "Gustave Le Bon an der Börse - Psychologie der Massen für Aktionäre" von Dr. Felix Johnson


••• Überarbeite Fassung eines Artikels aus Februar 2014

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