Der Buchwert eines Unternehmens war früher eine sehr wichtige Kennzahl bei der Bewertung und beim Aufspüren unterbewerteter Aktiva. Benjamin Graham hat hierauf seine berühmte Investment-Strategie aufgebaut und bereits 1940 in seinem gemeinsam mit David Dodd verfassten Standardwerk “Wertpapieranalyse” Vorschläge zur Berechnung vorgelegt. In den 1980er Jahren waren Übernahmen, um diese Firmen anschließend zu zerschlagen und stückweise zu verkaufen das "große Spiel". Der Film "Wallstreet" von Oliver Stone mit Michael Douglas handelt von eben dieser Ära mit Akteuren wie dem Junk-Bond-König Michael Milken und Ivan Boesky und anderen "Räubern" (Predators). Spannend und detailliert ist auch das Buch "Club der Diebe" von James B. Stewart.
Die Unternehmenskennziffer Buchwert je Aktie gibt die Höhe des auf die Aktionäre entfallenden Eigenkapitals pro Aktie an. Er berücksichtigt nur den bilanziell ausgewiesenen Wert der Aktiva, nicht jedoch mögliche stille Reserven oder stille Lasten. Daher sind Buchwerte in der Bilanz skeptisch zu betrachten, weil man sie kaum verifizieren kann. Üblicherweise werden sie nach dem Niederstwertprinzip ja zu den ursprünglichen Anschaffungskosten ausgewiesen (falls dieser unter dem aktuellen Wert liegt, wird entsprechend der niedrigere Wert angegeben). Die Bilanz sagt also nichts über mögliche stille Reserven aus, das KBV (Kurs-Buchwert-Verhältnis) ist also fast immer zu hoch! Der Buchwert stellt vielmehr den untersten Wert des sog. inneren Wertes oder Substanzwertes des Unternehmens dar (beides wird gerne und oft gleichgesetzt, sind aber unterschiedliche “Konzepte”). Und trotzdem weiß man erst sicher, was man als Buchwert realisieren kann, wenn das Unternehmen liquidiert wird.
Die Wahrscheinlichkeit, beim Buchwert falsch zu liegen, ist also relativ hoch! Dem entsprechend ist die Aussagekraft des KBV beschränkt. Warren Buffett führte dazu 1995 aus: “Der Buchwert ist nicht bedeutend. Für uns (bei Berkshire Hathaway) ist es viel wichtiger, hohe Erträge auf das eingesetzte Kapital zu erwirtschaften”. Man muss jedoch hier anmerken, dass sich Buffett dies bezüglich von seinem Lehrmeister Benjamin Graham emanzipiert und von der Bevorzugung materieller Vermögensgegenstände gelöst hat. Aufgrund seiner langjährigen Erfahrungen bevorzugt er nunmehr Unternehmen mit hohem, dauerhaften Goodwill (Geschäftswert), die möglichst wenig materielle Güter einsetzen. Coca Cola ist hierfür ein Beispiel.
Dem Buchwert messe ich eine höhere Bedeutung zu, wenn er für mein Investment relevant(er) sein könnte. Also wenn ich zum Beispiel einen Turnaroundkandidaten bewerte und seine Aussicht, wieder auf die Beine zu kommen. Gelingt der Turnaround nicht, steht ggf. die Insolvenz an und dann wird der Buchwert schnell sehr real. Möchte ich in ein Softwareunternehmen investieren, ist der Buchwert wenig relevant. Hier zählt der Goodwill viel mehr, denn die langjährigen Kundenbeziehungen und -bindungen samt der ständigen Serviceleistungen machen den Unternehmenswert aus, weniger Maschinen und Anlagen. Will ich in Microsoft investieren, interessiert mich ja eher nicht, zu welchem Preis ich den Firmensitz in Seattle verkaufen kann, sondern welche Erträge dauerhaft erzielbar und wie sicher diese sind (Markteintrittsbarriere für Mitbewerber, Patente).
Wer Aktien eines Unternehmens wegen des günstig erscheinenden Buchwertes kauft, der muss sich sehr darüber im Klaren sein, ob dieser Buchwert auch realistisch ist. Hierbei kommt es darauf an in Erfahrung zu bringen, mit welchen Maßstäben die Bewertung erfolgte und dann muss man einschätzen, ob die ggf. vorhandenen stillen Reserven sich auch zügig heben lassen durch einen Verkauf. Maschinen eines Chipproduzenten haben keine lange Lebensdauer, weil die Produkte schnellen Wandlungszyklen unterworfen sind. Edelmetalle und Rohstoffe hingegen können schnell "versilbert" werden, hier schlummern unter Umständen enorme Chancen. Verarbeitete Produkte hingegen bergen Risiken. Baumwolle in der Bilanz kann man schnell verkaufen, daraus gefertigte pinkfarbene Unterwäsche hingegen kann am Markt auch floppen. Beides ist aber im Buchwert enthalten (da im Anlagevermögen der Bilanz).
Fazit: Der Buchwert bzw. das Kurs-Buchwert-Verhältnis ist eine sinnvolle Ergänzung bei der Unternehmensbewertung und kann auf zusätzliche Potenziale aber auch Risiken hinweisen. Als alleinige Entscheidungsgrundlage für ein Engagement taugt es aber zu wenig!
Dein Fazit würde ich so unterschreiben.
AntwortenLöschenDie Aussage, dass es egal ist zu welchem Preis man ein Unternehmen kauft, ist in meinen Augen falsch.
MSFT steigert seit Jahren den Firmenwert massiv und der Kurs dümpült trotzdem rum. Wer hier nicht zu einem "guten Kurs" eingestiegen ist, der hat einen soliden Verlust in seinem Depotkonto.
Opportunitätskosten + Inflation sind das Zauberwort.
Viele Grüße und einen guten Rutsch :)
Welcher meiner Äußerungen entnimmst Du, dass ich den Einstiegspreis für unwichtig halte? Habe mir den Artikel nochmals durchgelesen und keine entsprechende Aussage gefunden.
AntwortenLöschenDas genaue gegenteil ist ja der Fall: Grundregel ist, je niedriger man einsteigt, desto höher sind die Gewinnchancen. Allerdings bedeutet ein niedriger Einstandskurs nicht, dass sich die Chancen auch in absehbarer Zeit realisieren, denn steigende Kurse gibt es ja nur, wenn andere Leute kaufen. Man ist also davon abhängig, dass Fremde in zunehmendem Maße die Aktien erwerben und das tun sie ja nur, wenn sie sich etwas davon versprechen. Man benötigt daher Geduld, um mit seinem Investments Geld zu verdienen. Was nicht heißt, dass ich sauer bin, wenn es zeitnah zu Kursanstiegen kommt bei Werten, in denen ich investiert bin. Ganz sicher nicht.
Auch Dir einen guten Rutsch.
"Die Bilanz sagt also nichts über mögliche stille Reserven aus, das KBV (Kurs-Buchwert-Verhältnis) ist also fast immer zu hoch!"
AntwortenLöschenSo einfach ist es leider nicht. Den stillen Reserven gegenüber steht der Goodwill, der in hinreichend vielen Fällen nicht das Papier wert ist, auf dem er steht. Das KBV kann also genauso zu niedrig sein wie zu hoch.
Hinzu kommt, dass der Buchwert nicht "unkaputtbar" ist, sondern durch operative Verluste, Schadensersatzzahlungen, Enteignungen und andere einschneidende Ereignisse ohne Vorwarnung stark sinken kann.
Unternehmen wie RWE oder Volkswagen nach ihrem aktuellen Kurs-Buchwert-Verhältnis zu bewerten ist zumindest mutig.