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Artikel aus "Der Nebenwerte Investor" Ausgabe 19/2024 vom 18.12.2024
▶ In dieser Ausgabe: Alzchem, About You, Adesso, Koenig & Bauer, Zeal Network
Alzchem: Der Spezialchemieanbieter munitioniert kräftig auf
Der Wirtschaftsstandort Deutschland hat zu kämpfen, wie viele Gewinnwarnungen der letzten Wochen ebenso zeigen wie fortgesetzte Prognosesenkungen der Wirtschaftsinstitute. Doch bei Alzchem herrscht verkehrte Welt, denn der Aktienkurs des Spezialchemieanbieters hat sich in den letzten 12 Monaten verdreifacht und den Börsenwert Richtung 600 Mio. Euro in die Höhe geschraubt. Das schreit geradezu nach einer massiven Übertreibung der Börse, doch beim Blick auf die Kennzahlen präsentiert sich Alzchem als attraktiv bewertet.
Die Börsenkarriere von Alzchem startete alles andere als stotterfrei: Im Frühjahr 2017 sollte es einen normalen Börsengang geben, doch der floppte mangels Anlegerinteresses. Ein halbes Jahr später ging man einen anderen Weg und zwar über ein Reverse-IPO. Alzchem verschmolz mit dem Börsenmantel der Softmatic AG, der anschließend in Alzchem Group umbenannt wurde. Nach einer ersten kurzen Euphorie ließ das Interesse schnell wieder nach, als sich 2018 als herausforderndes Börsenjahr entpuppte, und auch die Pandemiezeit brachte der Kurs nur mit einer langen Seitwärtsbewegung hinter sich. Ende 2021 notierte die Aktie dann bei rund 25 Euro, bevor sie nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine im Februar über Wochen auf 15 Euro abbröckelte. Die exorbitanten Steigerungen der Energiepreise forderten ihren Tribut und zogen sich blutig durch die Geschäftszahlen. Die Erholung führte die Aktie bis zum Herbst 2023 auf 20 Euro zurück und ab dann erfolgte eine Neueinschätzung der Börse – denn die Geschäftsaussichten haben sich dramatisch verändert.
Alzchem ist ein vertikal vollintegrierter Hersteller chemischer Produkte. Der Fokus liegt auf komplexen organischen Produkten mit einer Stickstoff-Kohlenstoff-Stickstoff-Bindung (NCN-Ketten) und das Unternehmen übernimmt die meisten Stufen der Verarbeitung und Veredelung der Produkte selbst.
Ende 2023 waren rund weltweit 1.700 Mitarbeiter für Alzchem im Einsatz. Auf Deutschland entfielen dabei rund 28 % der Umsätze, auf die weiteren EU-Staaten 32 % und das restliche Europa 5 %. Die NAFTA steuerte 18 % bei, Asien 7,5 % und der Rest der Welt knapp 10 %.
Vier der fünf Produktionsstätten liegen in Deutschland: Trostberg, Hart, Schalchen und Waldkraiburg vier Produktionsstandorte befinden sich im sog. "Bayerischen Chemiedreieck" und der fünfte im schwedischen Sundvall. Darüber hinaus ist Alzchem in den beiden strategisch relevanten Märkten USA und China mit eigenen Vertriebsgesellschaften aktiv.
Alzchem teilt es seinen Geschäftsbetrieb in drei sich ergänzende Segmente: Speciality Chemicals, Basics & Intermediates sowie Other & Holding.
Im Segment Speciality Chemicals produziert Alzchem Spezialchemieprodukte für Kunden aus der chemischen Industrie, der Pharmabranche, der Ernährungs- und Futtermittelindustrie sowie den Branchen Erneuerbare Energien, Automobil, Landwirtschaft, Wehrtechnik. Der Umsatzanteil dieses Segments lag 2023 bei 59 % und steuerte 90 % des operativen Ergebnisses (EBITDA) bei.
Das Segment Basics & Intermediates bündelt die Aktivitäten der Verbundchemie auf Basis der primären Stickstoff-Kohlenstoff-Stickstoff-Bindung. Hier stellt Alzchem Produkte, Zwischenprodukte und Rohstoffe her, die anschließend konzernintern vom Segment Speciality Chemicals oder externen Abnehmer aus der Automobilindustrie, der Metallurgie, der chemischen Industrie, der Pharmabranche oder der Landwirtschaft abgenommen werden. Der 2023er Umsatzanteil der Sparte lag bei 35,5 % und der Anteil am operativen Ergebnis bei 11,7 %.
Im Segment Others & Holding fasst Alzchem alle übrigen Aktivitäten des Konzerns zusammen, die sich nicht den beiden anderen Segmenten zuordnen lassen. Die Umsätze werden überwiegend mit Dienstleistungen erzielt, die im Wesentlichen für den Betrieb der Chemieparks Trostberg und Hart anfallen. Entsprechend niedrig sind der 2023er Umsatzanteil von 5,3 % und der Ergebnisbeitrag von 0,6 %.
Und nun lässt sich bereits erahnen, weshalb Alzchem zuletzt so starken Rückenwind verspürt: die hohe Gewichtung des Wehrtechnikbereichs im Segment Spezialchemikalien. Denn die NATO-Partner stellen nicht nur der Ukraine große Mengen an Kriegsgerät zur Verfügung und füllen ihre Bestände wieder auf, sondern sie rüsten ihre runtergewirtschafteten Armeen für die neue Bedrohung aus dem Osten. Dabei hat sich China zu einem wichtigen Unterstützer Russlands entwickelt und hat in dem sich weiter zuspitzenden Handelskrieg mit den USA zuletzt auf Exportbeschränkungen für wichtige Rohstoffe zurückgegriffen, wie ein Embargo bei Wolfram gegen die USA. Der Westen überdenkt daher seine strategische Abhängigkeit von vielen chinesischen Rohstoffen und Produkten und sucht händeringend nach alternativen Quellen. Und für einige Bereiche ist die beste und manchmal sogar einzige Quelle die deutsche Alzchem.
Die neue Stärke im Rüstungssektor
Bereits 2023 erzielte man im Anwendungsbereich der Guanidinsalze (Nitroguanidin) ein deutliches Wachstum. Hier beliefert das Unternehmen Kunden mit Bestandteilen für Airbags, Pflanzenschutz – und Wehrtechnik. Nachdem hier lange die Anwendungen der Agro-Chemie und Automotive-Industrie im Vordergrund standen, dominiert inzwischen der wehrtechnische Anwendungsbereich. Die Rüstungsindustrie benötigt Nitroguanidin für Munition, insbesondere für Artilleriegeschosse. Hier steigt die Nachfrage einerseits durch den hohen Verbrauch im Ukrainekrieg und andererseits durch viele neue Rüstungsinitiativen mit neuer, verbesserter Munition. Die NATO-Staaten wollen ihre Systeme besser aufeinander abstimmen, was zu größerer Nachfrage nach den betreffenden Angeboten führt. Alzchem ist als Vorlieferant dabei in der komfortablen Situation, dass alle Hersteller auf Nitroguanidin angewiesen sind, und es insofern keine Rolle spielt, wer den Zuschlag bekommt, sondern nur, dass er erteilt wird.
Mitte März konnte Alzchem verkünden, man werde von der EU-Kommission im Rahmen des ASAP ("Act in Support of Ammunition Production") nach einem europaweiten Auswahlverfahren einen Investitionszuschuss in Höhe von 34,4 Mio. Euro erhalten. Diesen will das Unternehmen über einen Zeitraum von zweieinhalb Jahren nutzen, um die Produktionskapazität von Nitroguanidin zu erhöhen und die bestehenden Anlagen zur Herstellung von Guanidinnitrat, das Vorprodukt von Nitroguanidin, zu erneuern und zu erweitern.
Inzwischen hat Alzchem diese Pläne konkretisiert und in Summe ergeben sich damit Gesamtinvestitionen in Höhe von rund 150 Mio. Euro, was die Erweiterungen zum größten Investitionsprojekt der Unternehmensgeschichte machen. Die Inbetriebnahme der neuen Produktionskapazitäten soll voraussichtlich im zweiten Halbjahr 2026 erfolgen.
Der Großteil der Kosten dürfte bereits in 2025 anfallen, doch dank der EU-Investitionszuschüsse kann Alzchem diese gut stemmen. Zudem hat man mit potenziellen Abnehmern Vorauszahlungen vereinbart, so dass auch von dieser Seite die Liquidität geschont wird. Daher geht Alzchem aktuell davon aus, dass die Erweiterung ohne Kapitalmaßnahme zu stemmen ist. Darüber hinaus halten die Analysten von Sphene Capital das Risiko für gering, dass Alzchem sich die Vorauszahlungen mit späteren Preiszugeständnissen erkaufen musste, denn man sie dann weltweit der einzige Hersteller von Nitroguanidin außerhalb Chinas.
Wie stark sich die Lage verändert hat, zeigt auch der Rahmenvertrag über 8,5 Mrd. Euro, den der DAX-Konzern Rheinmetall kürzlich mit der Bundeswehr geschlossen hat über die Lieferung von Artillerie-Munition. Vor dem Ukraine-Krieg produzierte Rheinmetall 32.000 Geschosse und ab 2025 sollen es an allen Rheinmetallstandorten zusammen 700.000 Stück sein. Alzchem dürfte im Zuge dieser massiven Produktionsausweitung seine Umsätze und Gewinne in diesem Bereich über die nächsten Jahre hinweg absehbar steigern. Und da die NATO-Staaten ihre Rüstungsausgaben generell deutlich hochfahren, wird sich die Nachfrage dauerhaft auf einem deutlich höheren Niveau etablieren.
Starke Geschäftsergebnisse…
Vieles davon ist noch Zukunftsmusik, doch inzwischen lassen sich die Auswirkungen bereits immer deutlicher in den Geschäftszahlen ablesen.
Alzchem profitierte im 1. Halbjahr 2024 weiterhin von der erfolgreichen Optimierung des Produktmix hin zu den Spezialchemikalien. Dieses Wachstumssegment verzeichnete ein Umsatzplus von 12,5 %, insbesondere durch Mengensteigerungen, und konnte damit den erwarteten mengen- und preisbedingten Umsatzrückgang von -11,8 % im Segment Basics & Intermediates erfolgreich ausgleichen. In Summe erzielte Alzchem einen Konzernumsatz von 286,3 Mio. Euro, was gegenüber dem Vorjahreswert von 277,0 Mio. Euro ein Wachstum von 3,3 % bedeutet. Damit gelang es Alzchem, sich von der im 1. Halbjahr 2024 leicht rückläufigen Umsatzentwicklung der chemisch-pharmazeutischen Industrie insgesamt erfolgreich abzukoppeln.
Getragen vom Spezialchemikaliengeschäft haben sich in den ersten sechs Monaten 2024 sämtliche Ertragskennzahlen deutlich erhöht. So stieg das Konzern-EBITDA (also das operative Ergebnis) überproportional stark zum Umsatz um 41,2 % auf 51,9 Mio. Euro, wodurch auch die EBITDA-Marge deutlich von 13,3 % auf 18,1 % zunahm. Das Halbjahresergebnis wuchs sogar um 78,4 % von 15,0 Mio. Euro auf 26,7 Mio. Euro an.
Die erhöhte Ertragskraft spiegelt sich zusammen mit dem strikten Working-Capital-Management auch in der Finanzlage des Alzchem-Konzerns wider. Mit 63,8 Mio. Euro konnte der operative Cashflow gegenüber dem Vorjahr um 24,0 Mio. Euro bzw. 60,3 % gesteigert werden, während der Free Cashflow um 20,2 Mio. Euro bzw. 64,5 % auf 51,4 Mio. Euro kletterte. Die liquiden Mittel nahmen gegenüber dem 31. Dezember 2023 deutlich von 11,9 Mio. Euro auf 46,1 Mio. Euro zu.
…führen zur Anhebung der Jahresprognosen
Aufgrund des im 1. Halbjahr 2024 stärkeren Wachstums und der Verschiebung im Produktmix hin zu den Spezialchemikalien hat der Vorstand folgerichtig die Ertragsprognosen für das Gesamtjahr 2024 erhöht. So soll das Konzern-EBITDA bei gleichbleibender Umsatzerwartung und einer wahrscheinlich linearen Entwicklung des Halbjahres-EBITDA 2024 voraussichtlich auf über 100 Mio. Euro statt auf 90 Mio. Euro wachsen und die EBITDA-Marge auf 17,5 % statt auf 15,8 % steigen.
Bewertung & Dividende
Quelle: wallstrett-online.de |
Für das Geschäftsjahr 2024 wird eine deutlich erhöhte Dividende je Aktie von 1,80 Euro erwartet, was eine Dividendenrendite von knapp 3 % ergäbe. Die absehbaren Gewinnsteigerungen der nächsten Jahre dürften auch die Ausschüttungen weiter antreiben.
Bewegung bei der Führung…
Der Vorstand besteht bisher aus vier Mitgliedern, wird aber ab dem nächsten Jahr um eine Person erweitert. Vorstandsvorsitzender ist CEO Andreas Niedermaier, das operative Geschäft COO Klaus Dieter Englmaier, für die Finanzen zuständig ist CFO Andreas Löffler und die Ressorts Marketing und Vertrieb verantwortet CSO Dr. Georg Weichselbaumer.
Doch zum 1. Januar 2025 wurde Martina Spitzer zum neuen Mitglied des Vorstands berufen. In ihrer neuen Position als Chief Sales Officer (CSO) wird sie zukünftig die Bereiche Gesundheit & Ernährung (Creapure), Feinchemie (Chemicals & Applications) und Nachhaltigkeit (ESG) verantworten. Ihre Berufung als CSO soll den nächsten wichtigen Schritt der frühzeitig eingeleiteten Nachfolgeplanung im Vorstand darstellen, denn Frau Spitzer übernimmt im Vertrieb bereits zwei bedeutende Geschäftsbereiche, da sich Herr Dr. Weichselbaumer künftig federführend um das Zukunftsprojekt der Ansiedlung einer Produktion in den USA kümmern wird.
Frau Spitzer ist seit 1999 für die Alzchem-Gruppe tätig. Im Jahr 2020 wurde sie zur Bereichsleiterin des gesamten Chemievertriebs von Alzchem ernannt, bevor sie 2022 nach rund 15 Jahren im Vertrieb ihren Fokus auf die strategische Unternehmensentwicklung und ESG legte. In dieser Rolle prägte sie entscheidend die Einführung des Nachhaltigkeitsbereichs, die Optimierung zentraler Unternehmensprozesse und die Umsetzung zukunftsweisender Projekte.
…und bei der Aktionärsstruktur
Vor einigen Tagen kam der Aktienkurs etwas unter Druck – ein ungewohntes Erlebnis für die in diesem Jahr so erfolgsverwöhnten Aktionäre. Hintergrund war die Privatplatzierung eines größeren Aktienpakets von insgesamt 250.000 Aktien, also 2,5 % des Grundkapitals.
Verkäufer waren Mitteilung die Livia Corporate Development SE und HDI Vier CE GmbH, die vor der Privatplatzierung knapp 23 % (Livia) und 11,6 % (HDI) an dem SDAX-Unternehmen hielten. Danaben gibt es mit der four two na GmbH bei Alzchem einen weiteren Großaktionär, der gut 15 % der Anteile hält. Dem Streubesitz sind nun also 53 % zuzurechnen, wovon allerdings 5 % von der französischen Lazard Group über ein Investmentvehikel gehalten werden.
Grund zur Besorgnis besteht nicht, denn dass zwei nicht-strategische Großaktionäre stark gestiegene Aktienkurse zu Anteilsreduzierung nutzen, ist keine aufsehenerregende Nachricht. Vielmehr ist davon auszugehen, dass bei weiter anhaltendem Erfolg in den kommenden Jahren ab und zu weitere Umplatzierungen von Aktienpaketen stattfinden werden.
Bullcase vs. Bearcase
Als Spezialchemieanbieter profitiert Alzchem von der anhaltend hohen Nachfrage nach seinen Produkten, die nur wenige Anbieter im Portfolio haben. Bei der Produktion kommen weniger energieintensive Verfahren zur Anwendung und die sich wieder deutlich abgekühlten Energiepreise sowie entspanntere Lieferketten bringen auf der Kostenseite merkliche Entlastungen. Zudem entwickelt sich im Wehrbereich eine Sonderkonjunktur, die über viele Jahre steigende Umsätze und Gewinne verspricht. Die Anhebung der Ergebnisprognosen für 2024 ist daher konsequent und die neue Ertragsstärke wird sich dauerhaft etablieren, da sich der Produktmix entsprechend verändert hat.
Dem entsprechend ist auch bei der Kursentwicklung keine Tristesse zu verspüren. Seit dem Jahresanfang hat sich der Kurs mehr als verdoppelt, seit dem allgemeinen Börseneinbruch im letzten Oktober sind es sogar fast 200 % Zuwachs. Diese starke Performance hat sich die Aktie aufgrund der steigenden Profitabilität und der glänzenden Aussichten auch redlich verdient.
Mit einem Börsenwert von knapp unter 600 Mio. Euro zählt Alzchem zu den Nebenwerten an der Börse. Und zu den Hidden Champions, die sich Anleger gut ins Depot legen können, um auf mittlere und lange Sicht attraktive Zuwächse zu verbuchen.
Die 4 wichtigsten Dinge, die man über Alzchem wissen muss
- Als Nischenanbieter leidet Alzchem nicht so sehr unter der allgemeinen Branchenschwäche im Chemiesektor und den damit verbundenen Herausforderungen.
- Der Umsatz hält sich auf hohem Niveau, während Margen und Ergebnisse deutlich zulegen. Ein Trend, der sich weiter fortsetzen dürfte.
- Der Wehrbereich spielt eine zunehmend gewichtige Rolle und entwickelt sich zu einem immer stärkeren Umsatz- und Gewinntreiber.
- Erhöhte Investitionen in zusätzliche Fertigungskapazitäten werden durch staatliche Fördergelder flankiert und treiben das Wachstum ab 2026 deutlich an.
Disclaimer: Habe Rheinmetall auf meiner Beobachtungsliste und/oder im Depot/Wiki.
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