Emotionen bestimmen das Börsengeschehen und lassen die Aktienkurse heftig schwanken; 'Behavioral Finance' heißt die Disziplin, die sich genau hiermit auseinandersetzt.
Bei "Gustave Le Bon an der Börse - Psychologie der Massen für Aktionäre" von Dr. Felix Johnson handelt es sich um den übersetzten Originaltext von Gustave Le Bon aus dem Jahr 1865 mit Kommentierungen von Dr. Felix Johnson. Und diese setzen Le Bons wissenschaftliche Abhandlung in den Kontext der Finanzmärkte und bieten hierdurch einen direkten Mehrwert für Aktionäre. Denn wir alle sind an der Börse der Psychologie der Massen ausgesetzt.
Das Werk von Gustave Le Bon über die Psychologie der Massen mit seinen bemerkenswerten Anmerkungen zur Verwendung als praktisches Handbuch für die Aktienanlage ist dafür eine ausgezeichnete Grundlage und bietet den idealen Einstieg in die Welt der 'Behavioral Finance'.
Dieses Buch hat allerdings für mich über das bloße Interesse als Anleger und Leser hinaus einen ganz persönlichen Touch, denn ich wurde vom Autor gebeten, das Vorwort zu verfassen. Diese Anfrage empfand ich als große Ehre und bin dem Wunsch sehr gerne nachgekommen...
Mein Vorwort zu "Gustave Le Bon an der Börse - Psychologie der Massen für Aktionäre"
Als die Anfrage an mich heran getragen wurde, ein Vorwort zu diesem Buch zu verfassen, war ich geschmeichelt, aber auch kritisch. Gustave Le Bons Abhandlungen über die Rassenlehre muten heute teilweise verstörend an und gerade wir Deutschen wissen, wohin diese Sichtweise geführt hat.
In seinem Werk „Psychologie der Massen“ geht es jedoch vor allem um das Gruppenverhalten von Menschen und stellt man Le Bons Werke in den zeitlichen Kontext, so entstanden sie in einer Epoche, in der das Nachdenken über Rassenmerkmale und Rassentrennung Mainstream waren – so gesehen also Teil der Psychologie der Massen der damaligen Zeit. Doch nur, weil dieser Teil seiner Ansichten überholt ist, gilt das nicht für seine restlichen Arbeiten. Man könnte sogar sagen, es wäre geradezu sträflich sie zu ignorieren, denn die Psychologie bestimmt unser Leben viel stärker als uns lieb sein kann. Gerade an der Börse. Der als Ökonom nicht unumstrittene, aber als Investor äußerst erfolgreiche John Maynard Keynes brachte den Zusammenhang zwischen Börse und Psychologie einmal sehr treffend auf den Punkt: „Das Geheimnis des Börsengeschäfts liegt darin, zu erkennen, was der Durchschnittsbürger glaubt, dass der Durchschnittsbürger tut“.
Als Value Investor achte ich vor allem auf fundamentale Daten bei der Bewertung von Unternehmen. Der Aktienkurs spielt erst dann eine Rolle, wenn ich ihn mit dem von mir ermittelten fairen Wert vergleiche und so herausfinde, ob ein Unternehmen aktuell preiswert zu kaufen ist oder zu teuer. Die Schwankungen der Aktienkurse sind somit also am Ende doch wesentlicher Bestandteil des Value Investings, denn sie stellen die relative Messlatte dar für eine Unter- oder Überbewertung einer Aktie.
Wer schon einmal von Eugene Fama und seiner Markteffizienzhypothese gehört hat, wird sich verwundert die Augen reiben. Denn nach dessen Theorie kann es keine Über- und Unterbewertungen geben, weil in einem perfekten Markt zu jeder Zeit alle Informationen allen zur Verfügung stehen und damit stets vollständig eingepreist sind. Der Kurs als ultimative Wahrheit, also als allgemeingültige Weltformel. Und in der theoretischen Welt der Mathematik, losgelöst von jeglichen Emotionen, könnte das sogar möglich sein. Nur leben wir nicht in einer theoretischen Welt, sondern in einer von der menschlichen Natur, ihren Emotionen und ihren psychologischen Verhaltensmustern geprägten Welt. Und wie es Yogi Bera mal so schön formulierte: „In der Theorie gibt es keinen Unterschied zwischen Theorie und Praxis. In der Praxis schon“. Als Anleger bewegen wir uns in der praktischen, der realen Welt und so spielt für uns die Psychologie der Menschen natürlich eine wichtige Rolle bei unseren Anlageentscheidungen.
Das erkennt man spätestens dann, wenn die Märkte verrücktspielen. Und dieses Empfinden haben wir meistens in Phasen, wo die Börsen abstürzen, wo die Panik geradezu mit Händen greifbar ist und selbst die Boulevardpresse ihre Titelseiten mit dem Wort Crash ziert. Während einer Börsenpanik geht es nicht mehr um einzelne Aktien; es grassiert das blanke Entsetzen, die meisten Anleger sind vom Urtrieb des Menschen getrieben, von seinem Überlebensinstinkt. Und der heißt Flucht. An der Börse bedeutet dies raus aus Aktien, sofort, zu jedem Preis.
In diesen Phasen des emotionalen Super-GAUs scheint es kein Morgen mehr zu geben, keine Zukunft, nur noch Weltuntergang. Die Angst dominiert alles und diese Panikattacke wirkt extrem ansteckend. Jeder Anleger denkt, die anderen wüssten mehr und wenn alle verkaufen, dann wird dieser Herdentrieb schon der richtige sein. Heute nennt man das Schwarmintelligenz - das macht das Verhalten nicht besser, wenn es um Börsenkurse und Renditen geht, aber es klingt viel angenehmer und angesagter.
Wenn diese Psychologie der Massen die Kontrolle über das Börsengeschehen übernommen hat, verlieren fast alle Anleger enorme Summen. Hartgesottene Value Anleger sehen allerdings gerade in diesen Phasen ihre große Chance. Denn die Werte der Unternehmen ändern sich nicht annähernd so schnell, wie ihre Aktienkurse in einem Crash in den Keller rauschen. Wer also seine Emotionen kontrollieren kann, wer die Bedenken über sich eintrübende Wachstumsperspektiven beiseite schieben kann, der kann sich nun die Rosinen herauspicken und zwar zu Ausverkaufskursen. Denn unsere Psyche spielt uns einen Streich: sie setzt fallende Kurse mit fallenden Werten gleich, mit Verlust. Dabei spielen Preis und Wert an der Börse die meiste Zeit über ihr eigenes Spiel und nur in seltenen Fällen treffen sie mal aufeinander. Der Verstand ringt mit den Gefühlen, der Kopf mit dem Bauch. Peter Lynch beschrieb das treffend so: „Wir müssen verstehen, dass unsere Kapitalanlage - immer - auch von unserem Unterbewusstsein beeinflusst wird. Nicht der Kopf, sondern der Bauch bestimmt über das Schicksal des Anlegers“. Der beste Rat für Anleger lautet daher, dass sie ihre Emotionen bei Börsengeschäften außen vor lassen sollten.
Doch das ist natürlich leichter gesagt als getan, denn dank unserer evolutionären Konditionierung fällt es uns schwer, unsere Emotionen zu unterdrücken. Doch das muss man auch nicht unbedingt, wenn man die Zusammenhänge versteht und sich darauf beschränkt, seinen Emotionen, seinen Instinkten an der Börse nicht gleich nachzugeben. Hier sollte man dem erfolgreichsten Investor aller Zeiten folgen, Warren Buffett. Der rät dazu, gierig zu sein, wenn die anderen ängstlich sind, und ängstlich zu sein, wenn die anderen gierig sind. Das ist das Kernelement des antizyklischen Handelns, mit dem sich an der Börse schon immer das meiste Geld verdienen ließ. Aber nicht das einfachste, so viel steht mal fest.
Doch "es ist leichter, über Geld zu schreiben, als Geld zu machen", spottete schon Oscar Wilde. Und so müssen wir uns der Tatsache stellen, dass wir als Anleger die Entscheidung treffen können und müssen, ob wir als Teil der Masse in den emotionsgeladenen Phasen mit weggespült werden, oder ob wir unseren Verstand gezielt einsetzen, um uns der Psychologie der Massen zu widersetzen und unsere Chance auf außergewöhnliche Kursgewinne nutzen wollen. Den Anleger als Lemming, als Sklaven der Massenpsychologie zu erkennen, bedeutet nicht nur, ihm nicht auf seinem Weg über die Klippe zu folgen, sondern ihm im Idealfall unterwegs sogar noch die Wegzehrung zu verkaufen.
Dieses Werk von Gustave Le Bon über die Psychologie der Massen mit seinen bemerkenswerten Anmerkungen zur Verwendung als praktisches Handbuch für die Aktienanlage ist dafür eine ausgezeichnete Grundlage und bietet den idealen Einstieg in die Welt der 'Behavioral Finance'.
Michael C. Kissig
Wedel im September 2018
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Disclaimer: Für das Verfassen des Vorworts bin ich mit 10% am Nettoverkaufserlös des Buches beteiligt.
••• Überarbeite Fassung eines Artikels aus September 2018
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